Zurück zur
Homepage
Text aus: Weiss, Volkmar und Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie. 2. Auflage. Neustadt/Aisch: Degener 1998, S. 104-112
7. Die
Innsbrucker Schule
Weil von 1933 bis 1945 sich zahlreiche Autoren, die
sich mit Familienrekonstitutionen befaßten, auch politisch engagiert hatten,
führte das dazu, daß diese Forschungen im deutschen Sprachraum nach 1945
vielfach abbrachen, wenn auch die angelegten Karteien häufig Krieg und
Nachkrieg überdauert haben und inzwischen oft als gedrucktes OFB erschienen
sind. Eine Ausnahme war nur das Institut für Bevölkerungsgeographie der
Universität Innsbruck (Kinzl 1948), an dem in den Nachkriegsjahren in 59
Dissertationen und Diplomarbeiten Einzelgemeinden oder jeweils benachbarte
Gemeinden analysiert worden sind. Leider sind diese Arbeiten sehr wenig bekannt
geworden. Desto verdienstvoller ist es, daß Fliri (1996) jetzt eine
bibliographische Übersicht und inhaltliche Kurzfassung der Ergebnisse dieser
Schule (siehe auch 32b) veröffentlicht hat, auf die wir uns im folgenden
stützen.
Der Geograph und Klima- und Gletscherforscher Hans
Kinzl (1898-1979) war 1939 nach Südamerika gegangen, wo er einen Aufenthalt in
der Tirolersiedlung Pozuzo in den peruanischen Anden dazu benutzte, die
Kirchenbücher zu verkarten. 1941 gelang es ihm, über neutrale Länder nach Tirol
zurückzukehren, wo er Obernberg am Brenner und Schwarzenberg im Bregenzerwald
verkartete und begann, sich der Bergbauernforschung zu widmen. Zu dieser Zeit
bestand ein reger Gedankenaustausch zwischen dem Geographischen und dem
Volkskundlichen Institut, und viele Geographie-Studenten hörten die Vorlesungen
von Hermann Wopfner, der wohl der beste Kenner der alpenländischen
Agrargeschichte war. Nach der Besetzung Österreichs durch die Alliierten war
geographische Feldforschung kaum möglich, und Kinzl machte aus der Not eine
Tugend und begann 1945/46 mit einem Seminar, in dem die Studenten zu
bevölkerungsbiologisch-geographischen Arbeiten angeregt wurden. Die Ansätze von
Demleitner und Roth, Bredt und Scheidt waren in Innsbruck bekannt. Die
Studenten waren keineswegs der eben besiegten Ideologie verhaftet, sondern fühlten sich als Teile einer Gesellschaft, deren bevölkerungsbiologisches Gesicht sie nun mit viel Fleiß enthüllten
(Fliri 1996). „Ob noch streng
geographisch oder nicht, auf jeden Fall
werden die einzelnen Teilergebnisse unser Verständnis für die Menschengruppe vertiefen, mit der wir uns beschäftigen. ... Wer sich mit einem wissenschaftlichen Problem beschäftigt, kann nicht an künstlich gezogenen Fachgrenzen haltmachen, sondern muß alles heranziehen, was der Lösung der gestellten Aufgabe dient. Wenn solche Arbeitsgebiete nicht mit unserer üblichen Facheinteilung übereinstimmen, spricht man von wissenschaftlichen Grenzgebieten, obwohl die Grenzen in uns selbst und in unserer Ausbildung liegen, nicht aber in der Wissenschaft (Kinzl 1948). Bei 25 von Kinzl
vergebenen Themen wurde mit der nominativen Methode gearbeitet, und es wurden Familienbücher angelegt. Daß die
Tiroler Arbeiten auch in der Tradition der Scheidtschen Schule standen, belegt
ein Zitat aus Fliris Dissertation (1948): “Als Ziel unserer Betrachtungen über Heiratskreis, Binnenwanderung und Seßhaftigkeit hatten wir eingangs die Klärung der Frage gefordert, bis zu welchem Grade die heutige Bauerngeneration mit ihren Vorfahren vor etwa 200 Jahren identisch ist. Wir bemerkten, daß eine völlig exakte Lösung nur durch eine Untersuchung der Veränderung der Erbmasse der Ausgangsbevölkerung zu erhalten sei.
Dr. Franz Fliri (geb. 1918) arbeitete nach seiner
Promotion ein Jahrzehnt lang als Bauer in Baumkirchen auf dem Gut seiner
Vorfahren, dann als Gymnasiallehrer, ehe die Universität Innsbruck für ihn
einen Arbeitsplatz hatte. Nach 1964 vergab Fliri als Kinzls Nachfolger auf dem
Lehrstuhl für Geographie weitere 13 Themen zur Bevölkerungsgeographie.
Das Heiratsalter, die saisonale Verteilung der Heiraten, die Ehedauer, die Anzahl und der Anteil der Wiederverheiratungen, der Ledigenanteil, der Anteil der Unehelichen, der Anteil der Ehen mit vorehelicher Empfängnis, die Geburtenabstände, die Zahl der Geburten in abgeschlossenen Erstehen, die Familiengröße, die Säuglings- und Kindersterblichkeit, die Lebenserwartung, die Zahl der Geburten pro 1000 Frauen und Alterskohorte und die Fruchtbarkeitsziffern nach Ehedauer und Heiratsalter sowie das Alter der Frau bei der Letztgeburt sind wichtige Kennziffern, die schon in den Dissertationen von Hedwig Reichle (1944) und Helga Boltzmann (1951; sie ist eine Enkelin des jedem Wissenschaftshistoriker bekannten Physikers Ludwig Boltzmann) ermittelt worden sind.
Der
Unterschied zwischen einer soliden Arbeit mit Ergebnissen von zeitlosem Wert
und einer fast wertlosen wird deutlich, wenn man die nüchterne Arbeit von
Hedwig Reichle mit der von Waltraud Schönthaler vergleicht, die voll im
Zeitgeist befangen war und kaum brauchbare Zahlen enthält. Beide Arbeiten
wurden 1944 in Innsbruck als Dissertationen verteidigt, die von Schönthaler
allerdings nicht an der Philosophischen Fakultät und nicht bei Kinzl.
Da es für die methodische und statistische Arbeit
in Innsbruck an Vorbildern mangelte, verfaßte Fliri im Auftrage von Kinzl 1948
eine interne „Anleitung zum Verwerten der Kirchenbücher als
bevölkerungsgeographische Quelle“. Fliri (1948), Troger (1954) und Lässer
(1956) waren es denn auch, die Dissertationen vorlegten, die gedruckt worden
sind und die aus diesem Grunde im alpenländischen Raum, gemessen an den
Zitierungen, eine gewisse Wirkung hatten, während fast alle anderen Arbeiten
der Innsbrucker Schule - oft unverdientermaßen - nie über Tirol hinaus bekannt
wurden. Fliri (1948) fand im Unterinntal, daß für den Zeitraum seit 1800 gilt,
daß mit steigender Hofgröße das Heiratsalter abnimmt: Hofgrößenklasse I (19%
aller Höfe) 36,1 Jahre bei den Männern, 31,9 bei den Frauen; II (29% aller
Höfe) 35,1 Jahre bei den Männern, 29,6 Jahre bei den Frauen; III (39% aller
Höfe) 34,2 Jahre bei den Männern, 29,0 bei den Frauen; IV (16% aller Höfe) 33,6
Jahre bei den Männern, 28,2 Jahre bei den Frauen. Obwohl das Heiratsalter des Mannes mit steigender Größenklasse sinkt, nimmt der Altersunterschied beträchtlich zu. ... Es heiraten also die Bauern der größeren Höfe verhältnismäßig viel jüngere Frauen als die Männer der kleinen Höfe. Die biologische Ehedauer steigt demzufolge von 11,8 Jahren
bei den kleinen Höfen bis auf 14,1 Jahren in Hofgrößenklasse IV, die Kinderzahl
von 4,5 bei Klasse I; 5,2 bei Klasse II; 5,8 bei Klasse III bis auf 6,4 bei
Klasse IV. Das Maß der Heiraten von Ort zu Ort beruht auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage. ... Seit Beginn der Untersuchungszeit haben die Geburtenabstände ständig abgenommen. Kein Jahr in der Bevölkerungsentwicklung unserer Gemeinde stellt aber einen auffallenderen Markstein dar als das Jahr 1888. ... Die Geburtenabstände vergrößerten sich wieder.
Troger (1954) und Lässer (1956) befaßten sich mit
den Zusammenhängen zwischen siedlungsgeographischen und damit wirtschaftlichen
Gegebenheiten, den demographischen Kennziffern und dem Wanderungsverhalten der
Bergbauern. Relativ zur Industriearbeit wurde die Arbeit der Bergbauern immer
unergiebiger und viele Dörfer immer stärker wirtschaftlich marginalisiert, da
immer weniger Arbeitskräfte dazu gebraucht wurden, die Gesamtbevölkerung mit
Nahrung zu versorgen. Die Tiroler Arbeiten sprechen also zentrale Fragen der
Dorfentwicklung an, die jedes einzelne Familienmitglied vor folgenschwere
persönliche Entscheidungen stellen, die mit der Rentabilität des Hofes, einer
anderen Berufswahl und notwendiger Abwanderung verbunden sind oder sein können.
Für seine Aufgabenstellung fand Troger (1954) die Lösung, aus seiner
Grundgesamtheit eine bzw. zwei Klumpenstichproben zu ziehen, einen methodischen
Weg also, wie er dann später auch bei mehreren Schweizer Arbeiten gegangen
wurde: Das umfangreiche Untersuchungsgebiet mit der großen Anzahl von Matrikenfällen (276 541) machte von vornherein die Anlage eines Familienbuches für das gesamte Zillertal für einen einzelnen praktisch unmöglich. Mit diesem Vorgehen sind nun bestimmte Mängel der vorliegenden Untersuchung verbunden. ... Um diese Nachteile zu mindern, wurde die Talgemeinde Straß und die Berggemeinde Gerlos mittels eines Familienbuches genauer untersucht. ... Wie wichtig die Einstellung der Eltern zum Kinde ist und welche Bedeutung ihre Pflege hat, zeigt eine Gegenüberstellung der Säuglingssterblichkeit bei ehelichen (16%) und außerehelichen Kindern (32%) der Gemeinde Straß von 1701 bis 1950. Das 6.
Lebensjahr erreichen 75% der ehelichen und 59% der unehelichen Kinder.
Eine ausgesprochene Bergbauerngemeinde hat Lässer
(1956) untersucht. Die Kirchenbuchunterlagen wurden durch die mündliche
Hofbefragung eines jeden Hofes ergänzt. „Nicht
nur das Heiratsalter hat im Lauf der letzten 150 Jahre zugenommen. ... Je
günstiger und sicherer die Erwerbsbedingungen, um so leichter ist es für junge Menschen zu heiraten und eine Familie zu gründen. So ist also das Ansteigen des Heiratsalters als Folge einer relativen Verschlechterung der Wirtschaftsverhältnisse anzusehen. ... Von 1780 bis 1948 durchschnittlich je Hof 5,04 Besitzwechsel. Es trifft somit auf eine Generation eine Besitzdauer von 33 Jahren. Bezeichnenderweise finden wir bei jenen Höfen, mit deren Besitz eine gewerbliche Verdienstmöglichkeit verbunden ist, den Besitzwechsel am häufigsten. Der Gasthof verzeichnet ... bis heute elf Besitzer. ... Vor allem vertauschte niemand einen äußeren Hof gegen einen, der weiter im Talhintergrund lag. Auch die Einheiraten sind durchaus talauswärts gerichtet. ... Daher konnten auch die Zuwanderer aus dem Ötztal in den innersten Weilern nicht nur, weil sie ihnen am nächsten lagen, sondern auch deswegen, weil sie von der ansässigen Bevölkerung am wenigsten begehrt, zuerst Fuß fassen. Die hohe Ledigenquote hängt schließlich auch mit diesem geringen Wert der Betriebe zusammen.
Fliri (1996) kritisiert in seiner Rückschau die in
Innsbruck gemachten methodischen Fehler, aber seine strenge Kritik aus der
Sicht des Naturwissenschaftlers trifft im Grunde genommen die Historische
Demographie insgesamt. „Vor allem am
Beginn der Kirchenbuch-Arbeiten sind leider statistisch-methodische Fehler unterlaufen, die heute das Zusammenfügen und Vergleichen der Ergebnisse erschweren oder ganz unmöglich machen. So wurden Merkmalsbegriffe unscharf oder willkürlich gewählt, Relativzahlen (Prozentwerte, Heirats-, Geburten- und Sterberaten) wie in der Makro-Demographie berechnet, ohne daß absolute Bezugswerte genau angegeben wurden. Vom einzelnen Jahr bis zum Jahrhundert waren verschiedene Teilperioden in Gebrauch. Nicht genug können heute Absolut- und Relativwerte zuweilen nur mühsam aus Graphiken messend wiedergewonnen werden, da Zahlen und Tabellen fehlen. ... Leider gelangten Glättungswerte auch in die Tabellen, und die ursprünglichen Größen bleiben unbekannt.“
Die - leider nie gedruckte - Dissertation (1951)
von Helga Boltzmann, die mit einem Preis der Universität Innsbruck
ausgezeichnet worden ist, markiert mit ihrer logischen Strenge und Klarheit
zweiffellos einen frühen qualitativen Höhepunkt der Innsbrucker Schule. Boltzmann
verbindet die nominative Auswertung von 3 Pfarrgemeinden mit der aggregativen
Auswertung von insgesamt 13 Pfarren des Salzburger Lungaus. Der Großteil der
Gewerbetreibenden des Lungaus waren Sauschneider und damit Saisonwanderer. „Bauern und Nichtbauern unterscheiden sich dadurch, daß bei den Nichtbauern die Ehen gleichmäßiger über das Jahr verteilt sind als bei den Bauern. In entlegenen Dörfern stammen sehr viele
Ehepartner aus der Heimatpfarre, in Zederhaus 84% (1800-1948), in Muhr und
Lessach je 75%, mit fallender Tendenz in den letzten Jahrzehnten. „Die Bauern sind seßhafter als die
Nichtbauern und holen ihre Ehepartner aus der Nähe. ... Auch ich konnte eine
Übereinstimmung des mittleren Heiratsalters und der Zahl der
bäuerlichen Erstehen, wie Fliri, beobachten.
1750-1760
große Zahl an Ehen - niederes Heiratsalter.
1765-1780
Zahl der Ehen sinkt - höheres
Heiratsalter, da die Ehen aufgeschoben werden.
1789-1820
größere Zahl der Ehen - Heiratsalter sinkt.
1840-1890 durchschnittlich sehr geringe Anzahl der Ehen - Heiratsalter steigt.
Von 1781-1850 betrug das durchschnittliche Alter
der Frau bei der letzten Geburt 40 Jahre. „Die biologische Ehedauer sinkt mit Ausnahme des Jahrzehnts 1820-1830 von 1790-1860 von 17 Jahren auf 13 Jahre. Dann steigt sie bis nahezu 20 Jahre in den Jahren 1890-1910 und fällt bis 1920 wieder auf 18 Jahre. ... Die durchschnittliche Kinderzahl der Ehen ändert sich mit der biologischen Ehedauer. 1820-1830 ist sie am höchsten mit einem Wert von sieben Kindern. Zur selben Zeit ist auch die biologische Ehedauer mit 17,8 Jahren höher als der Durchschnittswert, und auch die Fruchtbarkeitsziffer (die Kinderzahl dividiert durch die Ehedauer mal Tausend) mit 393 erreicht hier ihr Maximum. ... In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam die große Kinderzahl bei geringer Ehedauer durch große Fruchtbarkeit, Ende des 19. Jahrhunderts durch lange Ehedauer bei geringer Fruchtbarkeit zustande. Die durchschnittliche Kinderzahl in biologisch vollendeten bäuerlichen Erstehen ist in den
140 untersuchten Jahren (1781-1920) mit 6,7 gleich geblieben. Von 1701-50 war der häufigste Geburtenabstand zwischen den weiteren Kindern, z.B. dem ersten und zweiten, zweiten und dritten, und vierten und fünften Kind bis zweieinhalb Jahre, während er heute nur ein bis eineinhalb Jahre beträgt. ... Während um 1800 die Kinder oft zwei Jahre gestillt wurden, ist die Stillzeit heute nur kurz. Die
Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit zwischen null und fünf Jahren betrug
25,5% (1792-1947) für eheliche Kinder, 31,8% bei den unehelichen. In der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg sind 1/3 der gestorbenen Säuglinge nicht eine Woche alt geworden. In der Gemeinde Muhr waren die Hälfte der Säuglingssterbefälle von Kindern unter einem Monat, ¾ der Todesfälle von Säuglingen und Kleinkindern waren Säuglinge. Natürlich
sind diese zusammenfassenden Sätze bei Boltzmann durch Tabellen belegt, die
1951 über den Lungau zusammenfassend feststellen kann: Der Geburtenrückgang ist noch kaum bemerkbar. ... In allen Gemeinden ist der Altersaufbau 1948 eine Lebenspyramide. ... Es erhalten sich im Gebirge nicht nur alte Bräuche, Sitten und Wirtschaftsformen, sondern auch bevölkerungsbiologische Verhältnisse früherer Generationen. - In der Arbeit von Verdroß-Droßberg
(1955) werden die mittleren Kinderzahlen von drei Generationen
gegenübergestellt. Die Jetztgeneration, zurückreichend bis zum Ende des I.
Weltkrieges, hat pro biologisch vollendete Ehe 3,3 Kinder, von denen 2,5
überleben, ihre Elterngeneration hatte 9,1 Kinder, von denen 6,4 überlebten,
die Großelterngeneration 6,3 Kinder, von denen 4,3 überlebten.
Hat die französische Schule von
diesen Innsbrucker Arbeiten tatsächlich nichts gewußt? In der Innsbrucker
Dissertation von Diez (1958) werden französischsprachige Arbeiten zitiert,
darunter L. Henry aus dem Jahre 1948. Wie Fliri, der selbst auch Französisch
versteht, mir persönlich versicherte, gab es Kontakte mit Frankreich und Paris.
So hielten sich Charles Pèguy aus Grenoble und Alice Picard (bzw. Alice
Saunier-Seitè nach ihrer Verehelichung), die dann sogar Wissenschaftsminister
Frankreichs wurde, zeitweise in Innsbruck auf.
1968 hatte Fliri seine methodische Anleitung noch
einmal überarbeitet, wovon Salzburger (1972), der eine Dissertation vorlegt,
die ganz allein in der Tradition der Innsbrucker Schule ruht, jetzt die
Tabellen aber in einer Form bringt, die sie auch für eine Metaanalyse
verwendbar macht. Für das von Salzburger untersuchte Brandenberger Tal war der
Staatswald bis zur Auflassung der Trift der dominierende Wirtschaftsfaktor. „Der durchschnittliche Beschäftigtenstand im
Forst belief sich in den letzten drei Jahrhunderten auf etwa 150 Mann. Diese
Zahl gewinnt einen besonderen Aussagewert, wenn man in Betracht zieht, daß
Brandenberg während dieses Zeitraumes nur an die 800-900 Einwohner zählte. ... Der
Typ des Forstarbeiters war und ist der Kleinbauer oder der weichende
Bauernsohn.“ Folglich unterscheidet Salzberger in allen Statistiken seiner
Untersuchung zwischen Bauern, Nebenerwerbsbauern und nichtbäuerlicher
Bevölkerung. „Für den Bauern war die Frau
nicht nur Haushälterin und Erzieherin, sondern vor allem die wichtigste
Arbeitskraft neben ihm. Daher war es für den Hofbesitzer fast unumgänglich
notwendig, nach dem Tode der Bäuerin eine Zweitehe einzugehen. Mit dem Rückgang
der bäuerlichen Bevölkerung sank auch die Zahl der Wiederverehelichungen.“ Bei
den Nebenerwerbsbauern liegt das Heiratsalter außerordentlich hoch, im 19.
Jahrhundert bei durchschnittlich 35,8, mit einem Maximum von 41,8 Jahren um
1830, und das ihrer Frauen von 1851-1900 bei 34,3 Jahren. „Es handelt sich um die finanziell weitaus schwächste Schicht der
‘Inwohner’, ,Knechte, Mägde usw. und könnte als
Beispiel dafür dienen, wie die wirtschaftliche Lage das Heiratsalter
beeinflußt“ (S. 28). Für Bauern liegt die mittlere Kinderzahl in biologisch abgeschlossenen Erstehen für 1801-1850 bei 6,5
bei einer biologischen Ehedauer von 16,9 Jahren, für 1851-1900 bei 6,4 Kindern
und 17,0 Jahren. Für die Nebenerwerbsbauern sind die entsprechenden Zahlen für
1801-1850 5,8 Kinder und 15,3 Ehejahre, für 1851-1900 5,3 Kinder und 14,5
Ehejahre. „Eine biologische Maßzahl, die
aber bei der Kinderzahl keine so große Rolle spielt, wie man zunächst glauben
möchte, ist das Durchschnittsalter der Mütter bei der letzten Entbindung. Die
Häufigkeitsverteilung zeigt, daß der mittlere Wert bei der Gesamtbevölkerung
unter dem häufigsten Wert liegt. Dieser beträgt 41 Jahre. Bei den Nichtbauern
fallen mittlerer und häufigster Wert bei 38 Jahren zusammen.“ Salzberger
gliedert die Hofgrößen nach ihrem Einheitswert in vier Größenklassen und
untersucht die Heiratsbeziehungen der Bauern und Nebenerwerbsbauern im Zeitraum
1701-1970. U.a. stellt er dabei fest: Die Bräute der mittleren und großen Höfe
werden vorzugsweise aus der gleichen Größenklasse der Höfe gewählt. „Nebenerwerbsbauern dagegen bevorzugen
weitaus Frauen von größeren Höfen. Die Heiratsaussichten der Mädchen von
Kleinst- und Kleinbetrieben sind nur halb so groß wie die der Töchter von
Vollbauern. Diese geringere Heiratswahrscheinlichkeit im Tale ist sicher mit
ein Grund, warum besonders viele Töchter von kleinen Höfen abwanderten.“ Das mittlere Heiratsalter des Mannes ist bei den Nebenerwerbsbauern 34,1 Jahre, bei den mittleren Bauern 32,6 Jahre und bei den großen Höfen 31,6 Jahre, das ihrer Frauen in derselben Reihenfolge 28,0, 27,3 und 26,8 Jahre, die Kinderzahl in den biologisch abgeschlossenen Erstehen 5,3, 6,7 und 7,4. Bei den Nichtvollbauern sind die Geburtenabstände höher. „Die Abgeschlossenheit des Brandenberger Tales läßt von vorneherein
viele Verwandtschaftsehen erwarten.“ Der Anteil der Dispensehen wegen
Blutsverwandtschaft stieg von 5,9% im Zeitraum 1701-1750 auf 11,9% von
1851-1900 und 12,2 von 1901-1950 und ist erst seitdem stark rückläufig. „Die Eheschließungen, in denen beide
Ehepartner aus Brandenberg stammen, sinken nur wenig, und zwar um 4% je
Jahrhundert (90%, 86%, 82%). In der Reihenfolge der sozialen Gruppen
Nichtbauern - Nebenerwerbsbauern - Bauern steigt der Anteil der Ehen zwischen
ortsbürtigen Partnern mit der Größe des Besitzes (79%, 87%, 92%)“. Ein
eindeutiger Zusammenhang besteht
zwischen Hofgröße und Abwanderung. „Je
kleiner der landwirtschaftliche Betrieb ist, desto weniger kann das Tal die vom
Hofe weichenden Erben festhalten. ... Bei den 9 größeren Höfen über 1000 m ist
die Abwanderung am geringsten.“ Von 78 mittleren und großen Höfen ist jeder
fünfte ein Erbhof. „Auf 38 Höfen, also
der Hälfte, saßen seit 1700 nur ortsbürtige Bauern und Bäuerinnen. ... 18 von
den 21 ältesten Sippen besitzen heute noch 80% aller landwirtschaftlichen
Betriebe. ... Bei neun von zehn Hofbesitzern sind die Vorfahren seit mindestens
200 Jahren in Brandenberg ansässig.“ 85% aller vorkommenden Familiennamen
entsprechen irgendeinem örtlichen
Hofnamen im Tal, aber nur in vier Fällen stimmen Hof- und Familienname
noch überein. Salzberger geht dann auch noch darauf ein, wie Arbeit und
Landschaft die Menschen prägten. Im Gegensatz zu dem kleingewachsenen Alpbacher ist der Brandenberger groß und kräftig. ... Sicher hat auch die durch viele Generationen geübte Beschäftigung im Forst die Menschen mitgeformt. Während auf den weit verstreut liegenden Höfen jeder mehr oder weniger auf sich allein gestellt war, verlangte die Arbeit innerhalb der Holzpartien und das Gemeinschaftsleben in den Holzknechthütten, daß aufeinander Rücksicht genommen werden mußte, da Verträglichkeit und Hilfsbereitschaft erst den vollen Arbeitserfolg brachten. Beide Eigenschaften dokumentieren sich auch immer wieder in der Dorfgemeinschaft. Als vor einigen Jahren einem Kleinhäusler das Haus abbrannte, half das ganze Dorf mit, daß innerhalb kurzer Zeit eine neue und schönere Wohnstätte entstand. ... Ist in einem Hause zufällig niemand anwesend, so ist es selbstverständlich, daß inzwischen der Nachbar aushilft und das Geschäftliche erledigt. ... Alle diese Freundlichkeiten fallen in dem Fremdenverkehrsort Alpbach weg.
Winkler (1973) hat die Gemeinde Martell in einem
hochalpinen Seitental des Vintschgaus in Südtirol untersucht. Nach einem ganz allmählichen Anstieg bis um 1800 setzt sich die Erhöhung des Heiratsalters der Männer ... bis zum Höchstwert von über 40 Jahren zwischen 1875 und 1880 beschleunigt fort. Die
mittleren Kinderzahlen (die nachträglich legitimierten eingeschlossen) in
biologisch bestehenden Erstehen der Bauern übertreffen stets die der
Nichtvollbauern: 1801-1850 7,2 Kinder, Nichtvollbauern 5,7; 1851-1900 5,9
gegenüber 5,2; 1901-1950 6,3 gegenüber 4,8. Noch im Zeitraum von 1951 bis 1968
beträgt die Kindbettsterblichkeit 1%, was mit den Schwierigkeiten
zusammenhängt, rechtzeitig ärztliche Hilfe in das entlegene Tal zu holen. Die
Kindersterblichkeit wird von Winkler methodisch sauber in Trihemeral-,
Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit gegliedert und für Bauern und
Nichtvollbauern stets getrennt ausgewiesen. Für den Zeitraum seit 1800 wird
untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen der Ordnungszahl der Geburt und der
Sterblichkeit bis zum 20. Lebensjahr besteht: I. Geburt 25,8% Sterblichkeit;
II.-IV. Geburt 27,6%; V.-VI. Geburt 30,9%; VII.-IX. Geburt 32,2%; X.-XII.
Geburt 34,6%.
Kinzl behielt sich lebenslang eine Zusammenfassung dieser Arbeiten vor, kam aber nie wirklich dazu. Fliri (1996) faßt einige Teilergebnisse (vgl. auch Bek 1953 und Ruesch 1979) verallgemeinernd so zusammen: Ohne Erlaubnis der selbständigen Gemeinde durfte bis 1938 keine Erst-Ehe geschlossen werden, daher üblicherweise erst nach dem Tode der Eltern mit einem mittleren Heiratsalter der Männer von 33 und der Frauen von 30 Jahren, das zuweilen auf 40 bzw. 35 Jahre anstieg. Die mittlere biologische Ehedauer betrug 14 Jahre bei 5,5 Kindern, 24% Kinder- und 1,5% Müttersterblichkeit. Aus der Bilanz von Geborenen und Verstorbenen ist außerdem zu schließen, daß etwa ein Viertel der Geborenen ausgewandert ist. ... Bei diesen Maßzahlen besteht kein Unterschied zwischen dem westlichen Gebiet mit Realteilung und dem östlichen Gebiet mit unteilbaren Höfen (Anerbenrecht). Im Westen beträgt die Unehelichkeit von Kindern kaum 5%. ... Im Osten erreicht sie aber mindestens 10%, zuweilen auf 50% steigend.
Zurück zur Homepage