Das Tausendjährige Reich Artam.
Leseproben aus:
Weiss, Volkmar: Der Clan aus Geld und Genen. März 2003, 242 S.; zu beziehen versandkostenfrei über amazon.de
Science fiction - Ein seit mehreren Generationen aus dem Erfindergeist und Unternehmertum gewachsener Clan, der sich selbst mittels der modernen Genetik auf Hochleistung züchtet, beherrscht in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts die Vereinigten Staaten des Kontinents. Formal handelt es sich um eine Demokratie, jedoch wohnen die Angehörigen des Clans in abgesonderten Wehrsiedlungen und kontrollieren Wirtschaft und Wissenschaft, Regierung und Opposition. Die Kampfgruppen der „Roten Hand“ bereiten durch Terrorangriffe den Aufstand vor, der die Macht des Clans brechen soll. Das Oberhaupt des Clans steht vor der Entscheidung, einzelne Wohngebiete der Bevölkerungsmassen präventiv mit Kernwaffen zu verwüsten oder nicht.
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S. 47
Eine auffallende Persönlichkeit war der Prediger, vermutlich
auch ein Ingenieur von hier, nicht nur weil er so jung, sondern auch weil er
sehr eindringlich sprach:
Lasset uns nun beten für die Kraft und Herrlichkeit unseres Clans in Ewigkeit. ... Ewige Kraft, laß uns unsere Kinder und Kindeskinder vor Tod und Verderben schützen, wie wir uns beschützt haben seit des Ältesten Vaters Tagen. ... Gib uns das Vertrauen zu uns selbst, so wie du es unseren Vätern gegeben hast, und laß uns unsere Feinde verderben und führe uns zum Lichte, die Feinde in die Finsternis. ... Wir werden suchen und forschen, und so werden wir siegen über Hunger und Mangel. ... Denn wir sind der Pfeil zum jenseitigen Ufer, gespannt zwischen Tier und Übermensch. Unser ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Wir sind eine neue Art, angetreten zu einem anderen Ziel. Begründet im Besten, lebend im Besseren, vergehend im Anderen. Artam.
S. 57f.
„Der Chef der Neurogenetiker hat übrigens noch ein
interessantes Hobby - eine Kaspar-Hauser-Gruppe.“
„Was?
Ist ja interessant - ist das nicht verboten?“
„Offiziell ja, aber wir hier beim Clan - Sie wissen doch
sicher auch, daß es am Institut für Allgemeine Psychologie und auch noch in
anderen Instituten eine ganze Reihe derartiger Gruppen gibt.“
„Gerüchteweise gehört habe ich schon davon, nur geglaubt
habe ich nicht alles. Also gibt es so etwas doch.“
Roteich lächelte überlegen, und nun - einmal in Fahrt
gekommen - fuhr er fort: „Was denken Sie, was es sonst noch alles gibt. In Los
Dubna sind sie nur deshalb soweit gekommen, weil sie dort alle moralischen
Skrupel schon längst haben fallen lassen. Der Zweck heiligt die Mittel, sagt
Don Gregor. Und Menschen wurden dort gekreuzt wie Schlachtvieh. In Zellkulturen
und auch im Original. Aber Erfolge haben sie dabei, manchmal könnte man fast
neidisch werden. Ich werde Ihnen in ein paar Monaten ermöglichen, daß die
Sperre am Informationsnetz für Sie aufgehoben wird und Sie an die internen
Forschungsberichte herankommen.“
„Wenn man diese internen Berichte nicht kennt, kann man sich
gar kein richtiges Bild machen.“
„Sicher nicht. - Aber warten Sie, ich hole den Schlüssel für
die Kaspar-Hauser. Das müssen Sie doch einmal sehen.“
Roteich kehrte bald zurück. Der Schlüssel war ein Ring mit
Code-Nummer. Sie passierten eine Schiebetür. Was Herbert sah, war ein großer,
von einer hohen Mauer umgebener Hof - mancher hätte vielleicht gesagt, ein
unsauberer Garten - mit einigen Bäumen, Kletteranlagen, so eine Art Mittelding
zwischen einem Kinderspielplatz und einem Affenzwinger in einem Zoo. Auf dem
Hof hielten sich 14 Menschen auf. Herbert zählte drei Männer, fünf Frauen und
sechs Kinder, die sehr eigenartig bekleidet waren, mit Stoffetzen und Fellen
behängt, aber doch irgendwie nach einem einheitlichen Stil.
“Sie können uns nicht sehen. Das Fenster hier läßt das Licht
nur in eine Richtung durch.“, erklärte Roteich.
„Eine tolle Gruppe ist das. Der Chef hier ist durch diese
Anlage ein beachteter Experte in Fragen der Verhaltensforschung und der
Kommunikationstheorie geworden. Da wäre Lorenz neidisch geworden.“
„Inwieweit
sind das wirklich Kaspar-Hauser hier?“
„Die Leute sind völlig isoliert und ohne jeden Kontakt in
den ersten Monaten großgezogen worden, dann aber schon zusammengebracht und
später - mit etwa vier Jahren - in die Anlage verlegt worden.“
„Und nachts? Wird es nicht zu kalt draußen?“
„Sie können sich in ein gut geheiztes Haus da drüben
zurückziehen. Das läßt sich nachts auch automatisch absperren, so daß die
Wächter hier dann etwas auf den Hof aufräumen können. Sonst würden die ja in
ihrem eigenen Dreck ersticken. Wasser ist ja da, die Nahrungsmittel sind
kontigentiert und werden durch eine Schiebetür eingebracht, manchmal auch durch
vermummte Wächter oder Ärzte, die ihnen, dann nach oft nach Betäubung,
irgendwelche notwendige Hilfe leisten. Ansonsten ist die Gruppe völlig
isoliert.“
Während dieser Erläuterungen hatte sich einer der Männer –
vielleicht besser ausgedrückt, eines der männlichen Tiere - rhythmisch sich
wiederholende Rufe ausstoßend, einer der Frauen in unmißverständlicher Absicht
genähert. Beide streichelten sich, anfangs ziemlich ruhig, dann immer heftiger
zufassend und stießen sich mit den Lippen. Sie griff nach seinem aufgerichteten
Penis, drehte sich dann aber plötzlich um, und der Coitus wurde ausgeführt, in
dem sie nach vorn gebückt stand, sich auf ihre Knie stützend, während er hinter
ihr stand.
„Ja“ - Roteich lachte – „die Sexuologen haben von diesen
Anlagen mit am meisten profitiert. Und dann die Sprachforscher, jede Gruppe hat
ja ihre eigene Sprache und Zeichengebung entwickelt, ihr eigenes
Begriffssystem. Durch derartige Forschungen sind jahrtausendealte Streitfragen
über das Wesen des Menschlichen und über die angeborene Instinktausstattung mit
einem Male entschieden worden. – Wie man auch darüber denken will: Es waren
mutige und verdienstvolle Männer aus unserem Clan, die sich über die Vorurteile
hinweggesetzt haben und mit derartigen Forschungen begonnen haben.“
„Landläufig
gedacht gelten solche Forschungen ja als unmenschlich.“
Was für den Homo sapiens unmenschlich ist, ist für den Homo superior menschlich. Es findet niemand etwas dabei, Schimpansen oder Paviane in einem Gehege zu halten oder mit ihnen Versuche anzustellen. An irgendeinem Punkt beginnt auch innerhalb der Art Mensch die neue Art, für die die moralischen und ethischen Maßstäbe der Ausgangsart nur noch Text eines zoologischen Lehrbuchs sind. Diese Kaspar-Hauser-Gruppe hier ist ja nur eine Stümperei gegenüber dem, was unser leitender Populationsgenetiker geplant hat. Ich bin gespannt, wann für dieses Schachbrettgehege für experimentelle Evolutionsforschung, wie er es genannt hat, der Forschungsrat die Mittel bewilligt. Bisher ist man immer noch vor den hohen Kosten einer derartigen Anlage zurückgeschreckt. Stellen Sie sich eine Vielzahl derartiger Kaspar-Hauser-Gruppen vor - aber jede einzelne viel größer und mit mehr Insassen als diese hier. Es werden genau definierte Genotypen eingebracht. Die Anlagen sind schachbrettförmig zueinander angelegt, und nach einem Zufallsystem werden nun ab und zu Verbindungstüren zwischen den einzelnen Anlagen geöffnet und Individuen durchgelassen - die Türen schließen nach einer bestimmten Zeit oder einer bestimmten Zahl wieder automatisch.
„So kann man Gendrift und Genwanderung simulieren. Aber was
soll das für Mutation und Natürliche Auslese aussagen?“
„Natürliche Auslese ist ja eigentlich immer gegeben. Aber
selbstverständlich wird man auch Nahrungsangebot, Raumangebot und
Individuenzahl usw. variieren, um damit die Entwicklungsfaktoren möglichst gut
nachzubilden. Das Projekt sieht ferner vor, auch Bevölkerungsdruck und Mutation
zu simulieren, indem an einer Stelle von außen neue Individuen, neue Mutanten,
eingebracht werden, um deren Ausbreitungen in den Teilpopulationen zu
studieren.“
„Ist
ja interessant.“
„Am besten finde ich aber den Gedanken, auch soziale
Entwicklungsfaktoren zu simulieren. Dadurch wird das Projekt eigentlich erst
seine Aussagen erzielen. Es ist daran gedacht, soziale Informationen und
Werkzeuge - zeichnerische Darstellungen über Werkzeuggebrauch und Rohmaterial -
einzelnen Gruppen mit bestimmten Genotypus - der M-Locus spielt dabei wieder
eine wichtige Rolle! - zur Verfügung zu stellen und zu studieren, wie dann
überlegenes geistiges Wissen und Können mit der biologischen Evolution
rückgekoppelt ist.“
„Und
die Genehmigung durch den Forschungsrat ist wirklich nur eine Geldfrage?“
„Für den Clan ja. Aber die Linksintellektuellen würden
zuviel Lärm schlagen, wenn sie von diesem Projekt erführen. Die Sorge darum mag
die Genehmigung bisher am meisten verzögert haben. Zwar sind in den genetischen
Instituten nur Leute von uns beschäftigt, aber Gerüchte über das, was in
unseren Instituten gemacht und geplant wird, gibt es mehr und detaillierter als
uns lieb ist.“
Als sie wieder auf der Hauptallee waren, sahen sie vor dem
Verwaltungsgebäude ein Fahrzeug des Sonderinformationsdienstes parken.
„Wir werden auch hier in Stubbeleben nicht um verschärfte
Sicherheitsmaßnahmen herumkommen. Ich habe gehört, daß man in der Nähe von
Aschgorod in allerletzter Minute noch einige von diesen weiterentwickelten
Marschflugkörpern aufgefunden und unschädlich gemacht hat, die unser Institut
dort aufs Korn genommen hatten. Elende Sauerei.“, schimpfte Roteich.
Die Linksaußen wissen, wer ihr konsequentester Gegner ist. Vor der 48er Sitzung und heute auch wieder. Weil wir eben nachweisen, daß die Menschen ungleich sind. Und was biologisch ungleich ist, ist eben zwangsläufig auch sozial ungleich. Strittig ist nur, wieviel. Diese Narren mit ihrer Utopie von der allgemeinen Gleichheit und Glückseligkeit. Aber wir machen Affen aus ihnen, früher oder später!
S. 68f.
Die Verstoßenen und ihre Nachkommen waren ein ganz
besonderes Problem, eine sich immer deutlicher abzeichnende Gefahr. Das konnte
nur der verstehen, der die Geschichte des Clans etwas kannte. - Der Älteste
Vater war ein einfacher Bürger gewesen. Von Beruf Erfinder. Erfolgreicher
Erfinder mit zahlreichen Patenten, die ihm ein beträchtliches Privatvermögen
eingebracht hatten. In einem Staat und einem System, unter dem das
Privateigentum an Produktionsmitteln verboten war. Nicht verboten war jedoch,
mit zwei Frauen zu leben, einem Zwillingspaar, von beiden Kinder zu bekommen
und nur mit einer verheiratet zu sein. Später kamen dann noch - mit zeitlichem
Abstand - zwei Lebensgefährtinnen dazu. Und wieder mehrere Kinder. Es mochte
ein Zufall sein, daß mehrere der Söhne in die gleiche Richtung schlugen. Die
Töchter heirateten in gutbürgerliche Familien ein. Die Familie hatte viel Geld
und einen großen Kreis von Bekannten, Verwandten und Freunden. Der zweitälteste
Sohn war Genetiker geworden, und dieser war es denn wohl auch gewesen, der dem
Ältesten Vater in dessen Alter die Satzung zum Unterschreiben vorgelegt hatte.
Ganz geklärt war das nie worden.
Warum auch? Es war die Heilige Satzung des Ältesten Vaters.
Und sie enthielt eine Idee. Eine der geschichtsbildenden Ideen, den Mythen der
Epochen, wie die vom freien Wettbewerb, von der Gottgewolltheit der königlichen
Macht, die von der Gleichheit in irgendeiner Zukunft. Es war eine Idee, die aus
der Analyse der Evolution abgeleitet worden war und nichts weiter als ihre
Fortsetzung sein wollte. Die Idee von der Artbildung durch politisches
Entscheiden und politischen Handeln und die Idee von den Prinzipien, nach denen
diese Artbildung verlaufen muß. Aufartung als Wille.
Wodurch waren alle Eliten vergangen? Weil sie wieder zurückgingen ins Volk, aus dem sie gekommen waren. Weil ihre Macht zum Teil nur Anmaßung oder Zufallsprodukt war, die mit dem glücklichen Zufall wieder schwand. Weil es keine Maßstäbe gab, nach denen Menschen - Ehepartner - als elitewürdig bezeichnet werden konnten. Elitewürdig nach den Maßstäben der biologischen Evolution und nicht nach denen des menschlichen Wohlverhaltens und der Wohlgefälligkeit. Elitewürdig war vielleicht nicht das richtige Wort, es kam ja nur auf einen bestimmten Unterschied an, auf die schöpferische Intelligenz, die nur den einen Menschen in hohem Maße und den anderen in viel geringerem gegeben ist. Und wozu gab es denn Wissenschaft, wenn es nicht endlich möglich sein sollte, die Böcke von den Schafen zu scheiden! Und daher gab es dann die Ausgestoßenen. Weil es ein Genetiker war, der dem Clan die Idee gegeben hatte, so folgte daraus alles andere. Die Söhne und Ehepartner des Ältesten Vaters standen durchweg auf sehr hohem geistigen Niveau und waren körperlich groß und gesund. Bis auf die kleineren Defekte und Mängel, die es in den besten Familien gibt. Aber schon unter den Enkeln gab es zwei schwarze Schafe, die man lieber außerhalb der Familie gesehen hätte, von mehreren der Urenkel ganz zu schweigen. Die Satzung bestimmte nun, daß das Familienvermögen nur an diejenigen weitervererbt werden sollte (abgesehen vom Pflichtteil), die den Maßstäben des Clans - so nannte sich die Großfamilie bald - entsprachen. Und die Maßstäbe bestimmten die Genetiker. Man war großzügig - nur schwere homozygote Defekte, Erbkrankheiten, vor allem Geisteskranke, wurden ausgeschlossen und nicht einmal immer die. Da gab es ja schon andere Mittel, um die Gene allmählich aus der Familie hinauszubringen. Amniozentese, selektive Schwangerschaftsunterbrechung usw. Unerbittlich war man aber gegenüber Genen, die mindere Intelligenz bedeuteten. Denn die Intelligenz, die schöpferische Intelligenz, war von Anfang an die Waffe des Clans, seine eigentliche Macht. Auch hier war man nicht übereilig. Ein Heterozygoter auf dem M-Locus blieb weiterhin Vollmitglied des Clans und genoß seine Unterstützung. Heiratete er und seine Kinder erfüllten wieder den Standard, war alles gut. Die aber nicht den Standard erfüllten, wurden ausnahmslos Verwandte der Familie, d.h. sie wurden weiterhin zu Familienfeiern eingeladen, genossen aber schon nicht mehr die massive finanzielle und bildungsmäßige Unterstützung der Familie, was zur Folge hatte, daß ihre Kinder dann meist endgültig aus dem Clan ausschieden. Sie wurden Ausgestoßene.
Nachdem man in den ersten fünf Generationen ziemlich
großzügig verfahren war, der Clan bestand bald nicht nur aus direkten Nachkommen
des Ältesten Vaters, sondern auch aus anderen tüchtigen Familienverbänden, die
sich ihm angeschlossen hatten, trat dann die in der Satzung geforderte
reproduktive Isolierung gegenüber der übrigen Gesellschaft in Kraft: Mitglied
des Clans konnte nur sein, dessen Eltern bereits Mitglieder des Clans waren und
der einen Ehepartner aus dem Clan gewählt hatte. Am Anfang gab es noch
Ausnahmen, besonders tüchtige Personen konnten in Einzelfällen noch in den Clan
aufgenommen werden, aber das hörte dann endgültig auf. Schwieriger war es mit
den Personen, die einen Ehepartner außerhalb des Clans wählten. Da gab es eine
Menge Streitfälle, Sonderregelungen. Denn eine formale Ehe, wie es früher das
Bürgerliche Gesetzbuch einmal kannte, gab es im Clan kaum. Und was, wenn ein
herausragender Vertreter des Clans, der schon mit zwei Frauen aus dem Clan eine
große und tüchtige Familie hatte, nun später noch eine dritte Partnerin
außerhalb des Clans wählte. Die Satzung bestimmte, daß er dann automatisch in
den Status eines „Verwandten“ überführt werden und seine Funktionen innerhalb
der Clan-Hierarchie verlieren sollte. Das war aber nur die Theorie, mit der
Praxis war schwerer fertigzuwerden. Denn Kinder und Enkel herausragender Männer
aus morganatischer Ehe waren so automatisch Ausgestoßene, d.h. sie waren
eigentlich nie im Clan gewesen und konnten nie in ihn hineingelangen.
Und dann gab es noch diesen bedauerlichen Sieg der
Orthodoxen, die sich selbst die „Sippe“ nannten, die „Reinigung“, die die Zahl
der Ausgestoßenen noch mehr hatte wachsen lassen. Das war zwar Geschichte, aber
er, der Amtierende Vater, bedauerte diesen Schritt noch heute. In der Satzung
stand zwar geschrieben, daß letztendlich Mitglied des Clans nur sein konnte,
wer leiblicher Nachkomme des Ältesten Vaters und der Ältesten Mütter war, aber
wenn man gewartet hätte, hätte sich das Problem später von selbst erledigt. Das
konnte man ja ausrechnen, in der wievielten Generation bei strenger Einhaltung
der Heiratsschranke jedes Mitglied des Clans eben diese Forderung der Satzung
wenigsten einmal erfüllen mußte. In der offiziellen Geschichte des Clans wurde
die „Reinigung“ als eine Notwendigkeit und große Errungenschaft bezeichnet, in
Wirklichkeit war es wohl nichts weiter als ein Machtkampf innerhalb des Clans
gewesen, bei dem einige unliebsame einflußreiche Personen hinausgeworfen
wurden. Sogar Stammbücher waren damals abhanden gekommen - sicher gestohlen und
vernichtet worden – und Daten im Computer gelöscht worden und wer nicht
nachweisen konnte, daß er Nachkomme war, war unwiderruflich ausgestoßen worden.
Diese Ausgestoßenen waren eine besonders gefährliche Gruppe. Nachdem der Einfluß des Clans immer mehr sichtbar geworden war - am Anfang hatte man die Satzung geheimgehalten und das hatte ein paar Generationen funktioniert, bis eben die Ausgestoßenen das Grundgesetz des Clans in die Öffentlichkeit brachten - begannen sich auch andere Familienverbände zu bilden, größere als die, mit denen es anfangs noch zu Fusionen gekommen war, und diese Verbände nahmen ähnliche Satzungen an, suchten und erreichten Kontakte über die Grenzen, vorbereitet durch überstaatliche Wirtschaftsunternehmen, und einer der gefährlichsten Konkurrenten des Clans war der Familienverband, den die Mehrzahl derjenigen gebildet hatten, die die Orthodoxen bei der Reinigung ausgeschlossen hatten. Die Satzung dieses Familienverbandes war sehr liberal, sehr dynamisch, sein Entwicklungstempo in der letzten Zeit unbestreitbar höher als das des Clans selbst. Wenn man objektiv war, kam man nicht um diese Feststellung herum.
Die Zuwachsrate an leitenden Stellungen, Erfindungen,
Patenten war höher. Zwar waren die Kontakte zwischen den beiden Verbänden bzw.
zum Clan recht freundschaftlich, in zahlreichen Einrichtungen und
wissenschaftlichen Instituten arbeiteten die Vertreter zusammen, aber im Grunde
genommen herrschte eine tiefe Feindschaft, ein unüberbrückbarer Haß. Beide
hatten im Grunde genommen das gleiche Ziel, beide waren die Anfänge neuer
biologischer Arten, aber einmal mußte, noch vor dem Ziel, einer von ihnen von
der Geschichte abtreten. Daher der Haß.
Dieser Familienverband hatte eine besondere Waffe, die er sehr eindrucksvoll und wirksam einsetzt: die künstliche Insemination. Der Verband hatte nach außen keine so starre Grenze. Immer wieder warb man Freiwillige außerhalb und innerhalb des Verbandes, Frauen, die sich gegen hohe Prämien, gezahlt aus den Mitteln des Verbandes, bereit erklärten, mit Elite-Samen aus den Spermabänken des Verbandes (wahrscheinlich war es aber oft einfaches Klonen mit Zellen von hervorragenden Vertretern des Verbandes; irgendwie war es Wissenschaftlern des Verbandes gelungen, die genetische Depression und Regression bei Klonen zu unterdrücken) geschwängert zu werden oder bereits befruchtete Eizellen eingepflanzt erhielten und diese austrugen. Trat nicht die gewünschte Kombination ein, wurde die Schwangerschaft unterbrochen. Der Verband benutzte auch die Gen-Voranalyse. Wies man aber die gewünschte Kombination nach, hatten die Nachkommen die Chance, in der zweiten oder dritten Generation in den Verband aufgenommen zu werden.
Sicher, das war gerichtete Manipulation
des Genpools. Und das war nach der Heiligen Satzung des Clans verboten. Aber
war das so uneingeschränkt richtig? Inwieweit war die Satzung auch nur ein Kind
ihrer Zeit? War sie etwa reformbedürftig? Wieder ertappte sich der Amtierende
Vater bei abwegigen Gedanken. Zweifel an der Heiligen Satzung - das war
Ketzerei. Es stand geschrieben, daß sich jede und jeder seinen Partner
innerhalb des Clans frei wählen könne und solle, ohne jede Beschränkung dieser
Freiheit. Frei sollten die Partner über die Zahl ihrer Kinder der entscheiden.
Klonen war streng untersagt, ebenso die künstliche Insemination. In die Sippe
gar konnte niemand aufgenommen werden, der durch Kaiserschnitt geboren worden
war. Dem freien Spiel der natürlichen Auslese sollte und durfte nicht
entgegengewirkt werden, stand im Grundgesetz, „ ...denn der Schiffer, der das
Ufer nicht kenne und nicht den Kurs, könne das Steuer nicht führen.“, hieß es
wörtlich.
Aber der Verband war im Vormarsch, das ließ sich nicht bestreiten. Vielleicht mußte man doch umdenken, vielleicht hatten die Rationalen, sehr viele Wissenschaftler, vor allem Genetiker, gehörten dazu, doch recht, wenn sie vorsichtig auf gewisse Reformen - damit letztlich doch auf Einschränkungen der Satzung - hinarbeiteten.
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