Veröffentlicht in: Zwahr, Hartmut, Schirmer, Uwe und Henning Steinführer (Hrsg.): Leipzig, Mitteldeutschland und Europa. Festgabe für Manfred Straube und Manfred Unger zum 70. Geburtstag. Beucha: Sax 2000, S. 245-253
DIE
ROLLE DER DEUTSCHEN SOZIALEN UNION (DSU) BEI DER EINIGUNG
DEUTSCHLANDS
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The Role of the German Social
From the beginning of the Each-Monday-Revolution of Leipzig liberalkonservative forces among the demonstrators had the aim to establish a democratic society and to unify
Zusammenfassung
Bei der
Leipziger Jedenmontagsrevolution waren von Anfang an liberalkonservative Kräfte beteiligt, deren Ziel eine freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Einheit Deutschlands war. Bereits im November und Dezember 1989 begannen sich in der DDR politische Gruppierungen zu formieren, die sich auf die CSU in Bayern hin orientierten, und am 20. 1. 1990 zur DSU zusammenschlossen, deren Parteiprogramm aber dennoch auch sehr stark von der CDU-West beeinflußt worden ist, von der sie auch gewonn
en wurde, mit der CDU-Ost gemeinsam die "Allianz für Deutschland" zu bilden. Mit der Losung "Eine Mehrheit für Einheit und Freiheit" wurde die DSU zu einer politischen Kraft, in der der Einigungswille seinen klarsten Ausdruck fand. Je näher die Verwirklichung dieses Ziels rückte, desto weniger sahen die Wähler ein, wofür es weiterhin noch eine zweite neue Unionspartei geben sollte. So rasch wie die Partei entstanden war, so rasch zerfiel sie wieder.
Die
Ereignisse in der DDR im September 1989 beginnen mit der Legende von der
friedlichen Revolution für einen besseren Sozialismus, die dann von
liberalkonservativen Kräften weitergetrieben worden sei, die am Anfang überhaupt nicht beteiligt gewesen wären. Den "Revolutionären der ersten Stunde" wäre die Revolution aus den Händen genommen worden. Diese Behauptung ist nicht dadurch wahr geworden, daß sie schon oft wiederholt worden ist.
Wahr
daran ist allerdings, daß die Personen die für einen besseren Sozialimus oder eine bessere DDR eintraten, am allerersten
in der Öffentlichkeit mit Namen und Organisationsformen auftraten. Ihre Naivität
war ihr Vorsprung. Wer im September oder Oktober zu der Einsicht gelangt war,
daß es notwendig sei, für Reformen des Systems einzutreten, der hatte die
Ehrlichkeit für sich und auf seiner Seite. Wer dagegen zu diesem Zeitpunkt bereits der Ansicht war, daß die Entwicklung viel weitergehen müsse, hin zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zur staatlichen Einheit Deutschlands, der hätte angesichts der intakten Stasimacht und jahrzehntelanger politischer Unterdrückung, schon ein Selbstmörder sein müssen, wenn er es offen erklärt hätte. Und so sind die liberalkonservativen Kräfte (z.B. auch Dr. P.-M. Diestel mit Familie) in Leipzig im Oktober mitgezogen, mit dem Sprechchor "Neues Forum zulassen" und inmitten von Demonstranten, die die Internationale gesungen haben (1). Denn "konservativ" in diesem Zusammenhang bedeutete nicht das Bewahren des Bestehenden, sondern den völligen Umbruch.
Die Vorläufer der DSU
Auf S.
129 des vom Neuen Forum herausgegenen Buches "Jetzt
oder nie - Demokratie!" (2) ist von der Montagsdemo am 16. 10. ein
vollbärtiger Demonstrant
abgebildet, der anderen den Gründungsaufruf des Neuen Forum vorliest. Denselben Mann bin ich im Frühjahr 1990 wiederbegnet, wo er Mitglied der DSU im Stadtbezirk Leipzig-West war. - Vom selben Tag stammt das Foto im "Leipziger Demontagebuch" (3) auf dem S. Müller (links der Herr mit Brille) zu finden ist, wenige Wochen später Mitbegründer der CSPD und dann im Februar Vorsitzender der DSU im Stadtbezirk Leipzig-Südost.
Schon
bei der Gründungsversammlung des "Demokratischen Aufbruchs" am 9.11. in Leipzig
wurde deutlich, daß sich das politische Spektrum nun offen aufzufächern begann.
Im November wurde die Leipziger Jedenmontagsrevolution
von Woche zu Woche von immer mehr schwarzrotgoldenen (ohne DDR-Emblem) Fahnen
und dem Sprechchören "Deutschland einig Vaterland" bestimmt. Mit der zunehmenden
Demoralisierung der SED und der Lähmung der Staatssicherheit (Stasi) wich die
Angst von denen, die nicht nur weiterschauten, sondern auch in etablierten
Stellungen etwas zu verlieren gehabt hätten, wenn die Stasi ausgerückt wäre,
um die aktivsten Gegner zu
internieren, wie eigentlich für diese Situation geplant war. In Thüringen
gründeten der Mathematik-Professor H. Walther und Dr. P. Latussek die ebenfalls aus dem Neuen Forum hervorgegangene
"Thüringische Forumpartei". Anfang Dezember wird in
Leipzig der u.a. von H.-W. Ebeling und Diestel unterzeichnete Gründungsaufruf der
"Christlich Sozialen Partei Deutschlands" (CSPD) verbreitet, die aus einem seit
September bei der Thomaskirche bestehendem Diskussionskreis hervorging. Selbst
in diesem Flugblatt der CSPD wird noch von der "Erneuerung unseres Landes" (d.h.
der DDR) gesprochen, aber auch von
dem Weg, "eine Konföderation mit der Bundesrepublik Deutschlands" anzustreben.
Parallel kommt es in Leipzig (und unabhängig davon auch im Vogtland) zur
Gründung der "CSU in Sachsen", die mit der in Rostock entstandenen (und
programmatisch stark an der CDU-West orientierten) "Freien Demokratischen
Union" (FDU) die Absprache trifft, daß die "CSU in Sachsen" für Sachsen im größeren Sinne zuständig werden soll (also Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und den damaligen Bezirk Cottbus), die FDU für die Nordbezirke.
Die Gründung der DSU
Am
20.1.1990 versammeln sich in der "Goldenen Krone" in Leipzig die Vertreter von
13 "Parteien" und Prominenz der CDU (aus Berlin-West) und CSU. Die Versammlung
wird mit der Frage eröffnet, ob der Generalsekretär der CDU-Ost, M. Kirchner,
unter den Anwesenden ist. Er ist es nicht, und damit ist schon eine wichtige
Vorentscheidung gefallen. Die Diskussion droht sich an der Frage festzubeißen,
ob die "CSU in Sachsen" bereit ist, sich mit zu einer neuen Union zu vereinigen oder nicht. Erst als die Bayern
unmißverständlich erklären, daß sie eine Partei mit einem derartigen Namen nicht
unterstützen wollen (wobei an diesem Tag nicht klar wird, ob sie mehr den
Prestigeverlust für die Abkürzung "CSU" im Falle eines Scheiterns der neuen
Partei fürchten oder den Konflikt mit der CDU, die drohte, eine solche Gründung
als Auftakt für einen zweiten Kreuther Beschluß aufzufassen, mit allen seinen Konsequenzen, auch für
Bayern selbst), sieht sich J.H. Nowack als
Vorsitzender der "CSU Sachsen" gezwungen, das möglicherweise zukunftsträchtige
Konzept aufzugeben. Unter der Willensbekundung zur Bildung der Deutschen
Sozialen Union (DSU) stehen dann 13 Unterschriften, jedoch nur für 12 Parteien
(für die CSPD unterschreiben Ebeling und V. Weiss), denn die Vertreter der Deutschen Forumpartei (DFP) mit Sitz Karl-Marx-Stadt erklären zwar ihre Absicht, ihre Partei zum Beitritt zu bewegen, sind aber nicht unterschriftsbevollmächtigt (4).
Von
den 12 Gruppierungen war die CSPD die einzige, die bereits am 20.1. mit
einem sehr umfangreichen
Parteiprogramm aufwarten konnte. Wie man sich durch einen Textvergleich
überzeugen kann, lag diesem Programm das (von Weiss
als Entwurf) gekürzte und auf die damaligen Erfordernisse zugeschnittene
Programm der CDU (West) zugrunde. Eine Woche später, nach einer nochmaligen
Diskussionsrunde im Hause von Diestel, diesmal wieder unter Beteilung von
CDU-Experten (darunter H. Lueg, Leiter der Abteilung
Innenpolitik aus dem Konrad-Adenauer-Haus in Bonn), wurde dieses 33 Druckseiten-Programm als DSU-Parteiprogramm verabschiedet.
Die
Bildung der Allianz für Deutschland
Kaum
gegründet, hat die DSU-Spitze die für das Schicksal der Partei folgenschwerste
Entscheidung zu treffen, der Allianz beizutreten oder nicht. "Die DSU ist eine
Volkspartei, in der Bürger aller sozialen Schichten und gesellschaftlichen
Gruppen zusammenarbeiten. ... Die DSU ist die neue politische Kraft, die die
breite demokratische Mitte des Volkes vertritt und uns alle zur Einheit
Deutschlands in Wohlstand und Freiheit führen wird", so lauten Selbstverständis und Auftrag der DSU in ihrem
Grundsatzprogramm. Das heißt, die DSU verstand sich von Anfang an nicht als
Rechtspartei, sondern als die Partei der bisher Parteilosen und gewillt, die
frühere Blockpartei CDU-Ost aus dem Feld zu schlagen. In den letzten Januartagen
werden jedoch die Weichen anders gestellt: Die CDU-Ost tritt am 25.1. aus der
Regierung Modrow aus, und alle etablierten Parteien (und dazu darf man auch
schon die SPD-Ost zählen) sind sich zu diesem Zeitpunkt einig und hoffen einen
Vorteil daraus zu ziehen, die Wahlen zur Volkskammer von Anfang Mai auf den
18.3. vorzuziehen. Die DSU wird damit vor die Aufgabe gestellt, innerhalb von
knapp 3 Wochen die Partei aufzubauen und Kandidatenlisten aufzustellen. Folge
davon ist, daß Bundes-, Landes- und Bezirksvorstände fast nirgendwo durch
innerparteiliche Wahlen in geheimer Abstimmung bestimmt werden, ebensowenig die
Reihenfolge der Listenvorschkäge für die Wahl zur
Volkskammer. Erst nach dem 18.3. wird das in der Partei lebhaft diskutiert, vor
allem die seltsamen Vorgänge auf dem Parteitag am 18.2. in Leipzig, als sich die
provisorische Spitze vom 20.1. fast unverändert im Block und ohne
Gegenkandidaten durch offene Akklamation "bestellen" (so wörtlich im
Tagungsprogramm) ließ. Wobei die einen sagen, daß für demokratische Verfahren im
Februar keine Zeit war; die anderen, daß die Mehrheit des provisorischen
Vorstands damals keine geheimen Wahlen wollte und auch schon aus der Befürchtung
heraus, durch solche Wahlen verdrängt zu werden, im Dezember und Januar bewußt
nichts für den demokratischen Aufbau von unten her getan zu haben. Als Tatsache
kann nur festgehalten werden, daß die DSU schon Ende Februar keinen Mechanismus
mehr hatte, innerparteilich neue fähige Leute nach ganz
vorn zu bringen.
Und
dennoch wurde die DSU zu einer politischen Kraft, in der der Einigungswille
seinen klarsten Ausdruck fand. Tetzner (5) schreibt in seiner Dokumentation
"Der Leipziger Ring": "Im Februar und März hatte ein Sprecher der DSU bei der Montagsdemo durchs Megaphon
gerufen: Wählen Sie DSU! Nach Zusammentreten der neuen Volkskammer werden wir
die sofortige Vereinigung mit der Bundesrepublik beschließen. Tausende hatten
Beifall geklatscht." (Und mit dem Sprechchor geantwortet: "Die Einheit im nu,
mit der DSU".) Kehrseite dieser Zuspitzung des Wahlkampfziels war, daß dabei
unterging, daß auch die DSU ein sehr differenziertes Programm für die mit der
Vereinigung zusammenhängenden Probleme hatte und in ihren Reihen ausgewiesene
Fachleute. Ziel der Wahlkampfgegner war es, die DSU als die Partei der Naiven
darzustellen, die zwar die rasche Einheit wollten, über die Lösung der damit
zusammenhängenden Probleme aber keinerlei Ahnung hätten. Ob dagegen von den
DSU-Spitzenkandidaten vor den Fernsehschirmen geschickt argumentiert worden ist,
ist eine offene Frage, die im Rückblick keine praktische Bedeutung mehr hat. Ebeling z.B., der glänzend vorbereitete Reden halten konnte, wirkte in der freien Diskussion oft unbeholfen und wenig schlagfertig.
- Mit dem Auftauchen der DSU gab es auch
bei der CDU-Ost kein Zaudern mehr: Sich nicht klar zur raschen Einheit zu
bekennen, hätte Stimmenverluste zugunsten der DSU bedeutet. In tausenden kleinen und hunderten Großveranstaltungen trat die Allianz gemeinsam für die Einheit und gegen weitere sozialistische Experimente an.
Den größten Schwung und die größten Erfolge erreicht der Wahlkampf der DSU in Sachsen. Am 18. 3. kommt die Stunde der Wahrheit: Der Jubel über die errungene liberalkonservative Mehrheit ist bei der DSU-Spitze von der Ernüchterung begleitet, daß es der DSU nirgendwo gelungen ist, den Stimmenanteil der CDU zu übertreffen. In ihren Hochburgen im Vogtland, in Teilen des Erzgebirges und in Görlitz erreicht die DSU zwar 25% der Stimmen, die CDU aber auch selbst da um die 40%. Bereits am Abend des 18.3. beginnt man innerhalb der DSU über die Rolle der Partei in einem geeinten Deutschland mehr oder weniger laut nachzudenken und findet keine befriedigende Antwort (9). In Leipzig selbst hat die DSU einen Stimmenanteil von 30% der CDU. Am Morgen des 19.3. ruft der Vorsitzende der DSU von Leipzig die Kreisleitung der CDU an und bietet eine gemeinsame Liste für die Kommunalwahl am 4.5. an. Diese Liste kommt nicht zustande.
Die Krise der DSU
In den
Wochen zwischen Volkskammer- und Kommunalwahl reißt der Kontakt zwischen den 25
gewählten Abgeordneten und der Parteibasis fast völlig ab. Abgeordnete und
Minister (die DSU stellt nur 2 und damit einen weniger als die Liberalen mit
geringerem Stimmenanteil) sind in Berlin so stark mit ihren neuen Aufgaben
beschäftigt, daß die Partei von ihnen im Kommunalwahlkampf keine fühlbare
Unterstützung erhält. Die DSU, die nur etwa 8000 Mitglieder hat, ist nicht in
der Lage, überall in den Kreisen und Kommunen Kandidaten aufzustellen, nicht
einmal in Sachsen. Am 6.5. wird ihr Stimmenanteil fast überall halbiert. Während es in
einzelnen Landkreisen noch gelingt, den Anteil zu halten, ist der Trend in den
Großstädten bereits vernichtend. Am Abend des 6.5. denkt P.-M. Diestel vor dem
Fernsehschirm laut über den Zusammenschluß mit der CDU nach. Aber die bayrische
CSU bremst derartige Überlegungen: Für eine liberalkonservative Mehrheit würde
eine Partei gebraucht, die nicht als Blockpartei belastet sei und die Wähler
auffangen könne, die nicht bereit sind, CDU zu wählen (10). Jedoch zeigt gerade
eine sorgfältige Analyse der sächsischen Kreise, in denen die DSU am 6.5. nicht
mit Kandidaten antreten konnte, daß sich ihr Stimmenanteil auf CDU und FDP
verteilt, der Wähler es also anders sieht. Sofort nach dem 6.5. kommt es
innerhalb der DSU zu scharfen Diskussionen, welche Perspektive die Partei bei
einer bundesweiten 5%-Klausel hat und ob überhaupt eine. Gleichzeitig kommt es
in Berlin zwischen dem Vorsitzenden der Volkskammerfraktion der DSU Walther und
dem Innenminister Diestel zu einem tiefgreifenden Loyalitätskonflikt über die
Art und Weise, was eine der DSU gemäße Innenpolitik sei. Diestel, als Minister
in eine Koalitionsregierung eingebettet, erwirbt sich viele Sympathien, jedoch
weniger bei denen, die DSU gewählt haben. Wochenlang macht dieser Konflikt
Schlagzeilen, mit der Nebenwirkung, daß bei den Wählern Zweifel entstehen, daß
die DSU einen ganz besonderen Anspruch auf die Integrität ihrer Führungspersonen
habe. - Am 23.5. verfaßt der Vorsitzende der DSU von Leipzig einen "Offenen
Brief an die Mitglieder und Wähler der DSU", indem er sie auffordert, "sich
früher oder später - geschlossen oder einzeln - der CDU anzuschließen. Es gibt
nichts, was die DSU von der CDU im Programm trennt. ... Mit dem Eintritt in die
Allianz für Deutschland hat die DSU ihre historische Rolle erfüllt. So wie am
20.1. die DSU durch den Zusammenschluß von 12 kleinen Parteien entstanden ist,
so muß sich jetzt die DSU für ein gemeinsames großes Ziel einbringen. Die
Freunde von der CSU in Bayern, die von der DSU ein eigenes Profil fordern,
sollten sich einmal insgeheim die Frage beantworten, wieviele von ihnen zur CDU gingen, wenn CDU und CSU auch in
Bayern nebeneinander bestünden." Dieser Offene Brief (11) wird von mehreren
Tageszeitungen (12) kommentiert und zirkuliert in vollem Wortlaut innerhalb der
DSU, die inzwischen versucht, die im Februar versäumte innerparteiliche
Demokratie nachzuholen. Zu spät. Auf dem eilig einberufenen 1. ordentlichen
Parteitag in Leipzig am 30.6./1.7. kommt es zum offenen Bruch: Die gesamte
Spitze des Leipziger Volkspartei-Flügels der DSU, darunter die Minister Ebeling und Diestel und die vorher als Generalsekretär bzw.
Vorsitzender amtierenden Schieck und Nowack treten aus der Partei aus und zur CDU über. Und es
wird dabei die Meinung geäußert, daß sich die DSU zur Rechtspartei entwickeln
werde, da es ein eigenes Wählerpotential nur noch rechts von der CDU geben
könne. Mehrere Redner vertraten auch die Meinung, daß die DSU die CDU-Ost durch die Allianzbildung von ihrer Vergangenheit als Blockpartei "reingewaschen" hätten. Die Allianzbildung also aus Sicht der DSU ein Fehler gewesen sei, der zur Selbst-Aufopferung der Partei im übergeordneten Interesse der deutschen Einheit geführt hätte.
Auch
während der Verhandlungen für den Einigungsvertrag gelingt es der Rest-DSU nicht, politisches Profil zu gewinnen und besondere Kompetenz nachzuweisen. Doch
bleibt sich die Partei selbst treu, als ihre Volkskammerfraktion bei der
Gedenksitzung am 17. Juni überraschend einen Initiativantrag auf sofortigen
Beitritt nach Artikel 23 einbringt. Die Geschäftsordnung verhindert das zwar an
diesem Tag, jedoch wird nun eine Art Wettrennen der DDR-Parteien (mit Ausnahme
der PDS) zur deutschen Einheit hin eingeleitet.
Am
3.10. wird die Einheit Deutschlands vollzogen. Über diesen Tag hinaus hat die
DSU kein verfaßtes Parteiprogramm. Das Bestreben, sich nun als besonders
scharfe, gegen SED/PDS-Strukturen gerichtete Partei zu profilieren, wird vom Wähler wenig
honoriert. Bei den Landtagswahlen am 14.10. und den Bundestagswahlen am 2.12. werden die Stimmenanteile der DSU jeweils noch einmal halbiert. Die Partei versinkt in die politische Bedeutungslosigkeit; selbst der Einzug in den Landtag von Sachsen wird verfehlt.
Eine Art politischer Nachruf
Indem
wir das "Zwönitzer Wochenblatt", das Informationsblatt einer kleinen
Erzgebirgsstadt zitieren, können wir noch einmal zusammenfassen: "24.1.1990: 14
Zwönitzer Bürger gründeten die Ortsgruppe der DSU. Bereits am 25.11.1989 hatte
es erste Kontaktaufnahmen mit dem CSU-Kreisverband Hof gegeben. Die Väter der
DSU in Zwönitz, die ihre politische Heimat in den ersten Tagen des Aufbruchs im
Neuen Forum sahen, verfolgen das Ziel, durch konsequentes konservatives
Herangehen, den Bruch mit jedweder Art Sozialismus zu vollziehen." Und am
3.10.1990 sagt A. Dietze (DSU) vor der Stadtverordnetenversammlung in Zwönitz: "Das Ziel der DSU ist erreicht! Wir wollten von Anbeginn der Revolution im Lande keine verbesserte DDR und wir wollten auch keine neue Verfassung der DDR, weil wir keine DDR mehr wollten! Wir haben als DSU konsequent nur das eine Ziel verfolgt: Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 - und das ohne wenn und aber! Und das so schnell wie möglich. ... Wir haben es geschafft!"
Daß
auch die DSU nicht die Partei der Nur-Saubermänner
war, die die Mehrzahl der Mitglieder aus ihr machen wollte, ist schon aus der stürmischen Zeit heraus, in der sie geboren wurde, allzu verständlich. Schon auf der Gründungsurkunde hat auch ein Bernhard Becker aus Falkensee (Gründer der Fortschrittlichen Volkspartei in Potsdam) unterschrieben (14), der unter diesen Namen dort unauffindbar blieb und wohl nur ein Stasi-Mann gewesen sein kann, der den Auftrag hatte, die DSU zu infiltrieren.
Wenn es je eine Chance für eine neue dauerhafte politische Kraft gegeben hat, dann vielleicht im November/Dezember 89 für eine selbständige, sich nicht als Landesverband der "CSU in Bayern" betrachtende "CSU in Sachsen". Schon Anfang Februar 90 war es dazu viel zu spät. -
Sich an die Rolle zu erinnern, die die DSU 1990 gespielt hat, das ist für alle Etablierten noch heute eine Peinlichkeit. Die kleine Gegenelite an der Spitze der Arbeiter in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thrüringen paßt in kein Denkschema. Die CDU hatte nach dem 18. März nur noch das Ziel, die DSU als politische Kraft auszuschalten bzw. zu absorbieren. Das ist ihr gelungen. Jede Erinnerung an die DSU und ihre Rolle soll getilgt werden. So wird in der von der CDU als ihr Ideologieblatt herausgegebenen '"Politischen Meinung" 1999 ein Aufsatz (16) von einem Peter D. Krause abgedruckt, der als "Mitbegründer des Neuen Forums" bezeichnet wird und der behauptet: "Im Herbst 1989 ereignete sich ein Umsturz ohne ideologische Avantgarde. ... Erst die massenhafte Teilnahme jüngerer Arbeiter hat den Demonstrationen die entscheidende, umstürzlerische Kraft gegeben." Daß es nicht die "Bürgerrechtler" waren, die den Einigungsprozeß in Gang brachten und diese Leute letzendlich nur einen geringen Einfluß hatten, daß erfaßt Krause zwar richtig, die DSU wird aber in seinem Beitrag an keiner einzigen Stelle erwähnt, denn die Erinnerung an die kurzfristige, bedrohliche Rolle dieser Partei ist für die CDU-Ost eine Art Alptraum und für die CDU-West für immer mit dem moralischen Vorwurf verbunden, nicht nur die Gemeinschaft der Blockflöten bevorzugt zu haben, sondern darüber hinaus die DSU-Elite vor dem 18. März vor ihren Karren der Allianz gepreßt zu haben, um sie dann in Stich zu lassen. Die Erinnerung an diese Partei ist schlicht und einfach eine Peinlichkeit. Auch die SPD wird an eine politische Niederlage erinnert; Bündnis 90/Die Grünen an einen massenwirksamen Gegner, gegen den sie sehr schlecht aussahen. Und am peinlichsten ist es für die CSU in Bayern, da das Kürzel DSU sie an eine verpaßte Gelegenheit erinnert, an eigene Unentschlossenheit und Zögern im November und Dezember 1989 und an ihre gelegentlichen Schwierigkeiten mit der CDU. So ist es für alle Etablierten wirklich am besten, die Existenz einer DSU völlig zu vergessen. Sie tanzte nicht einmal einen Sommer.
Fußnoten
(1) Und wenn mir, dem späteren Mitbegründer der DSU und deren Vorsitzender in der Stadt Leipzig, bereits zu diesem Zeitpunkt das Singen der Internationale als Anachronismus erschien und sie mir nicht über die Lippen kam, so dürfte das keinem aufgefallen sein. Doch wird dieser Beitrag sicher gehaltvoller, wenn in den Anmerkungen auch auf persönliche Erinnerungen mit zurückgegriffen wird.
(6) Bundesvorstand der DSU, 1990: Grundsatzprogramm der Deutschen Sozialen
(7) Lueg, Heiner: Teil-Rede-Entwurf für Herrn Ebeling zum Außerordentlichen Parteitag der DSU am 18. Februar 1990 in Leipzig. Manuskript (Maschinenschrift).
(14)
Ich erinnere mich, wie "Becker" ständig versuchte, das Wort an sich zu reißen.
(So wie das Schnur beim "Demokratischen Aufbruch"
gelungen war.) Bereits am 22.1. wollte "Becker" für die DSU an den Runden Tisch
nach Berlin, wo man ihn angeblich schon erwartete. Als dann eine Woche später Ebeling und Diestel nach Berlin fuhren, um am Runden Tisch der Modrow-Regierung mitzuarbeiten, wurden sie nicht zugelassen.
(15) Man kann in diesem Zusammenhang auf Helmut Kohl verweisen, der in seiner Dissertation, Heidelberg 1958, Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiederentstehen der Parteien nach 1945, S. 1, feststellte: "Man mag vom historisch-wissenschaftlichen Standpunkt aus den Einwand erheben, der geringe Zeitabstand gefährde eine objektive Betrachtungsweise. Andererseits glaubt der Verfasser, eine Rechtfertigung dieses Versuches in der Tatsache zu sehen, daß bereits heute ... die Quellenlage außerordentlich schwierig ist."
(16) Krause, Peter D.: Bürgerrechtler im Abseits. Politische Meinung 44, Heft 350 (1999) 13-24; hier S. 18 und 24.
Rezension des Buches:
Richter, Michael: Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90 (2009)