Veröffentlicht in: Zwahr, Hartmut, Schirmer, Uwe und Henning Steinführer (Hrsg.): Leipzig, Mitteldeutschland und Europa. Festgabe für Manfred Straube und Manfred Unger zum 70. Geburtstag. Beucha: Sax 2000, S. 245-253
DIE 
ROLLE DER DEUTSCHEN SOZIALEN UNION (DSU) BEI DER EINIGUNG 
DEUTSCHLANDS                                    
 
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				The Role of the German Social 
				 
					
					
				From the beginning of the Each-Monday-Revolution of Leipzig liberalkonservative forces among the demonstrators had the aim to establish a democratic society and to unify 
				
						
						
				Zusammenfassung
						
						
					Bei der  
					Leipziger Jedenmontagsrevolution waren von Anfang an liberalkonservative Kräfte beteiligt, deren Ziel eine freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Einheit Deutschlands war. Bereits im November und Dezember 1989 begannen sich in der DDR politische Gruppierungen zu formieren, die sich auf die CSU in Bayern hin orientierten, und am 20. 1. 1990 zur DSU zusammenschlossen, deren Parteiprogramm aber dennoch auch sehr stark von der CDU-West beeinflußt worden ist, von der sie auch gewonn
									en wurde, mit der CDU-Ost gemeinsam die "Allianz für Deutschland" zu bilden. Mit der Losung "Eine Mehrheit für Einheit und Freiheit" wurde die DSU zu einer politischen Kraft, in der der Einigungswille seinen klarsten Ausdruck fand. Je näher die Verwirklichung dieses Ziels rückte, desto weniger sahen die Wähler ein, wofür es weiterhin noch eine zweite neue Unionspartei geben sollte. So rasch wie die Partei entstanden war, so rasch zerfiel sie wieder.
								 
			Die 
Ereignisse in der DDR im September 1989 beginnen mit der Legende von der 
friedlichen Revolution für einen besseren Sozialismus, die dann von 
liberalkonservativen  Kräften weitergetrieben worden sei, die am Anfang überhaupt nicht beteiligt gewesen wären. Den "Revolutionären der ersten Stunde" wäre die Revolution aus den Händen genommen worden. Diese Behauptung ist nicht dadurch wahr geworden, daß sie schon oft wiederholt worden ist.
Wahr 
daran ist allerdings, daß die Personen die für einen besseren Sozialimus oder eine bessere DDR eintraten, am allerersten 
in der Öffentlichkeit mit Namen und Organisationsformen auftraten. Ihre Naivität 
war ihr Vorsprung. Wer im September oder Oktober zu der Einsicht gelangt war, 
daß es notwendig sei, für Reformen des Systems einzutreten, der hatte die 
Ehrlichkeit für sich und auf seiner Seite. Wer  dagegen zu diesem Zeitpunkt bereits der Ansicht war, daß die Entwicklung viel weitergehen müsse, hin zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zur staatlichen Einheit Deutschlands, der hätte angesichts der intakten Stasimacht und jahrzehntelanger politischer Unterdrückung, schon ein Selbstmörder sein müssen, wenn er es offen erklärt hätte. Und so sind die liberalkonservativen Kräfte (z.B. auch Dr. P.-M. Diestel mit Familie) in Leipzig im Oktober mitgezogen, mit dem Sprechchor "Neues Forum zulassen" und inmitten von Demonstranten, die die Internationale gesungen haben (1). Denn "konservativ" in diesem Zusammenhang bedeutete nicht das Bewahren des Bestehenden, sondern den völligen Umbruch.
Die Vorläufer der DSU
Auf S. 
129 des vom Neuen Forum herausgegenen Buches "Jetzt 
oder nie - Demokratie!" (2) ist von der Montagsdemo am 16. 10. ein 
vollbärtiger  Demonstrant 
abgebildet, der anderen den Gründungsaufruf des Neuen Forum vorliest. Denselben Mann bin ich im Frühjahr 1990 wiederbegnet, wo er Mitglied der DSU im Stadtbezirk Leipzig-West war. - Vom selben Tag stammt das Foto im "Leipziger Demontagebuch" (3) auf dem S. Müller (links der Herr mit Brille) zu finden ist, wenige Wochen später Mitbegründer der CSPD und dann im Februar Vorsitzender der DSU im Stadtbezirk Leipzig-Südost. 
 
Schon 
bei der Gründungsversammlung des "Demokratischen Aufbruchs" am 9.11. in Leipzig 
wurde deutlich, daß sich das politische Spektrum nun offen aufzufächern begann. 
Im November wurde die Leipziger Jedenmontagsrevolution 
von Woche zu Woche von immer mehr schwarzrotgoldenen (ohne DDR-Emblem) Fahnen 
und dem Sprechchören "Deutschland einig Vaterland" bestimmt. Mit der zunehmenden 
Demoralisierung der SED und der Lähmung der Staatssicherheit (Stasi) wich die 
Angst von denen, die nicht nur weiterschauten, sondern auch in etablierten 
Stellungen etwas zu verlieren gehabt hätten, wenn die Stasi ausgerückt wäre, 
um  die aktivsten Gegner zu 
internieren, wie eigentlich für diese Situation geplant war. In Thüringen 
gründeten der Mathematik-Professor H. Walther und Dr. P. Latussek die ebenfalls aus dem Neuen Forum hervorgegangene 
"Thüringische Forumpartei". Anfang Dezember wird in 
Leipzig der u.a. von H.-W. Ebeling und Diestel unterzeichnete Gründungsaufruf der 
"Christlich Sozialen Partei Deutschlands" (CSPD) verbreitet, die aus einem seit 
September bei der Thomaskirche bestehendem Diskussionskreis hervorging. Selbst 
in diesem Flugblatt der CSPD wird noch von der "Erneuerung unseres Landes" (d.h. 
der DDR) gesprochen, aber auch  von 
dem Weg, "eine Konföderation mit der Bundesrepublik Deutschlands" anzustreben. 
Parallel kommt es in Leipzig (und unabhängig davon auch im Vogtland) zur 
Gründung der "CSU in Sachsen", die mit der in Rostock entstandenen (und 
programmatisch stark an der CDU-West orientierten) "Freien Demokratischen 
Union"  (FDU) die Absprache trifft, daß die "CSU in Sachsen" für Sachsen im größeren Sinne zuständig werden soll (also Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und den damaligen Bezirk Cottbus), die FDU für die Nordbezirke. 
 
Die Gründung der DSU
Am 
20.1.1990 versammeln sich in der "Goldenen Krone" in Leipzig die Vertreter von 
13 "Parteien" und Prominenz der CDU (aus Berlin-West) und CSU. Die Versammlung 
wird mit der Frage eröffnet, ob der Generalsekretär der CDU-Ost, M. Kirchner, 
unter den Anwesenden ist. Er ist es nicht, und damit ist schon eine wichtige 
Vorentscheidung gefallen. Die Diskussion droht sich an der Frage festzubeißen, 
ob die "CSU in Sachsen" bereit ist, sich mit zu einer neuen Union zu vereinigen oder nicht. Erst als die Bayern 
unmißverständlich erklären, daß sie eine Partei mit einem derartigen Namen nicht 
unterstützen wollen (wobei an diesem Tag nicht klar wird, ob sie mehr den 
Prestigeverlust für die Abkürzung "CSU" im Falle eines Scheiterns der neuen 
Partei fürchten oder den Konflikt mit der CDU, die drohte, eine solche Gründung 
als Auftakt für einen zweiten  Kreuther Beschluß aufzufassen, mit allen seinen Konsequenzen, auch für 
Bayern selbst), sieht sich J.H. Nowack als 
Vorsitzender der "CSU Sachsen" gezwungen, das möglicherweise zukunftsträchtige 
Konzept aufzugeben. Unter der Willensbekundung zur Bildung der Deutschen 
Sozialen Union (DSU) stehen dann 13 Unterschriften, jedoch nur für 12 Parteien 
(für die CSPD unterschreiben Ebeling und V. Weiss), denn die Vertreter der Deutschen Forumpartei (DFP) mit Sitz Karl-Marx-Stadt erklären zwar ihre Absicht, ihre Partei zum Beitritt zu bewegen, sind aber nicht unterschriftsbevollmächtigt (4).
Von 
den 12 Gruppierungen war die CSPD die einzige, die bereits am 20.1. mit 
einem  sehr umfangreichen 
Parteiprogramm aufwarten konnte. Wie man sich durch einen Textvergleich 
überzeugen kann, lag diesem Programm das (von Weiss 
als Entwurf) gekürzte und auf die damaligen Erfordernisse zugeschnittene 
Programm der CDU (West) zugrunde. Eine Woche später, nach einer nochmaligen 
Diskussionsrunde im Hause von Diestel, diesmal wieder unter Beteilung von 
CDU-Experten (darunter H. Lueg, Leiter der Abteilung 
Innenpolitik aus dem Konrad-Adenauer-Haus in Bonn), wurde dieses 33 Druckseiten-Programm als DSU-Parteiprogramm verabschiedet.
Die 
Bildung der  Allianz für Deutschland 
Kaum 
gegründet, hat die DSU-Spitze die für das Schicksal der Partei folgenschwerste 
Entscheidung zu treffen, der Allianz beizutreten oder nicht. "Die DSU ist eine 
Volkspartei, in der Bürger aller sozialen Schichten und gesellschaftlichen 
Gruppen zusammenarbeiten. ... Die DSU ist die neue politische Kraft, die die 
breite demokratische Mitte des Volkes vertritt und uns alle zur Einheit 
Deutschlands in Wohlstand und Freiheit führen wird", so lauten Selbstverständis und Auftrag der DSU in ihrem 
Grundsatzprogramm. Das heißt, die DSU verstand sich von Anfang an nicht als 
Rechtspartei, sondern als die Partei der bisher Parteilosen und gewillt, die 
frühere Blockpartei CDU-Ost aus dem Feld zu schlagen. In den letzten Januartagen 
werden jedoch die Weichen anders gestellt: Die CDU-Ost tritt am 25.1. aus der 
Regierung Modrow aus, und alle etablierten Parteien (und dazu darf man auch 
schon die SPD-Ost zählen) sind sich zu diesem Zeitpunkt einig und hoffen einen 
Vorteil daraus zu ziehen, die Wahlen zur Volkskammer von Anfang Mai auf den 
18.3. vorzuziehen. Die DSU wird damit vor die Aufgabe gestellt, innerhalb von 
knapp 3 Wochen die Partei aufzubauen und Kandidatenlisten aufzustellen. Folge 
davon ist, daß Bundes-, Landes- und Bezirksvorstände fast nirgendwo durch 
innerparteiliche Wahlen in geheimer Abstimmung bestimmt werden, ebensowenig die 
Reihenfolge der Listenvorschkäge für die Wahl zur 
Volkskammer. Erst nach dem 18.3. wird das in der Partei lebhaft diskutiert, vor 
allem die seltsamen Vorgänge auf dem Parteitag am 18.2. in Leipzig, als sich die 
provisorische Spitze vom 20.1. fast unverändert im Block und ohne 
Gegenkandidaten durch offene Akklamation "bestellen" (so wörtlich im 
Tagungsprogramm) ließ. Wobei die einen sagen, daß für demokratische Verfahren im 
Februar keine Zeit war; die anderen, daß die Mehrheit des provisorischen 
Vorstands damals keine geheimen Wahlen wollte und auch schon aus der Befürchtung 
heraus, durch solche Wahlen verdrängt zu werden, im Dezember und Januar bewußt 
nichts für den demokratischen Aufbau von unten her getan zu haben. Als Tatsache 
kann nur festgehalten werden, daß die DSU schon Ende Februar keinen Mechanismus 
mehr hatte, innerparteilich neue fähige Leute nach ganz 
vorn zu bringen.   
Und 
dennoch wurde die DSU zu einer politischen Kraft, in der der Einigungswille 
seinen klarsten Ausdruck fand. Tetzner  (5) schreibt in seiner Dokumentation 
"Der Leipziger Ring": "Im Februar und März hatte ein Sprecher der DSU  bei der Montagsdemo durchs Megaphon 
gerufen: Wählen Sie DSU! Nach Zusammentreten der neuen Volkskammer werden wir 
die sofortige Vereinigung mit der Bundesrepublik beschließen. Tausende hatten 
Beifall geklatscht." (Und mit dem Sprechchor geantwortet: "Die Einheit im nu, 
mit der DSU".) Kehrseite dieser Zuspitzung des Wahlkampfziels war, daß dabei 
unterging, daß auch die DSU ein sehr differenziertes Programm für die mit der 
Vereinigung zusammenhängenden Probleme hatte und in ihren Reihen ausgewiesene 
Fachleute. Ziel der Wahlkampfgegner war es, die DSU als die Partei der Naiven 
darzustellen, die zwar die rasche Einheit wollten, über die Lösung der damit 
zusammenhängenden Probleme aber keinerlei Ahnung hätten. Ob dagegen von den 
DSU-Spitzenkandidaten vor den Fernsehschirmen geschickt argumentiert worden ist, 
ist eine offene Frage, die im Rückblick keine praktische Bedeutung mehr hat. Ebeling z.B., der glänzend vorbereitete Reden halten konnte, wirkte in der freien Diskussion oft unbeholfen und wenig schlagfertig.
 - Mit dem Auftauchen der DSU gab es auch 
bei der CDU-Ost kein Zaudern mehr: Sich nicht klar zur raschen Einheit zu 
bekennen, hätte Stimmenverluste zugunsten der DSU bedeutet. In tausenden kleinen und hunderten Großveranstaltungen trat die Allianz gemeinsam für die Einheit und gegen weitere sozialistische Experimente an.
Den größten Schwung und die größten Erfolge erreicht der Wahlkampf der DSU in Sachsen. Am 18. 3. kommt die Stunde der Wahrheit: Der Jubel über die errungene liberalkonservative Mehrheit ist bei der DSU-Spitze von der Ernüchterung begleitet, daß es der DSU nirgendwo gelungen ist, den Stimmenanteil der CDU zu übertreffen. In ihren Hochburgen im Vogtland, in Teilen des Erzgebirges und in Görlitz erreicht die DSU zwar 25% der Stimmen, die CDU aber auch selbst da um die 40%. Bereits am Abend des 18.3. beginnt man innerhalb der DSU über die Rolle der Partei in einem geeinten Deutschland mehr oder weniger laut nachzudenken und findet keine befriedigende Antwort (9). In Leipzig selbst hat die DSU einen Stimmenanteil von 30% der CDU. Am Morgen des 19.3. ruft der Vorsitzende der DSU von Leipzig die Kreisleitung der CDU an und bietet eine gemeinsame Liste für die Kommunalwahl am 4.5. an. Diese Liste kommt nicht zustande.
Die Krise der DSU
In den 
Wochen zwischen Volkskammer- und Kommunalwahl reißt der Kontakt zwischen den 25 
gewählten Abgeordneten und der Parteibasis fast völlig ab. Abgeordnete und 
Minister (die DSU stellt nur 2 und damit einen weniger als die Liberalen mit 
geringerem Stimmenanteil) sind in Berlin so stark mit ihren neuen Aufgaben 
beschäftigt, daß die Partei von ihnen im Kommunalwahlkampf keine fühlbare 
Unterstützung erhält. Die DSU, die nur etwa 8000 Mitglieder hat, ist nicht in 
der Lage, überall in den Kreisen und Kommunen Kandidaten aufzustellen, nicht 
einmal in Sachsen. Am 6.5. wird ihr Stimmenanteil fast  überall halbiert. Während es in 
einzelnen Landkreisen noch gelingt, den Anteil zu halten, ist der Trend in den 
Großstädten bereits vernichtend. Am Abend des 6.5. denkt P.-M. Diestel vor dem 
Fernsehschirm laut über den Zusammenschluß mit der CDU nach. Aber die bayrische 
CSU bremst derartige Überlegungen: Für eine liberalkonservative Mehrheit würde 
eine Partei gebraucht, die nicht als Blockpartei belastet sei und die Wähler 
auffangen könne, die nicht bereit sind, CDU zu wählen (10). Jedoch zeigt gerade 
eine sorgfältige Analyse der sächsischen Kreise, in denen die DSU am 6.5. nicht 
mit Kandidaten antreten konnte, daß sich ihr Stimmenanteil auf CDU und FDP 
verteilt, der Wähler es also anders sieht. Sofort nach dem 6.5. kommt es 
innerhalb der DSU zu scharfen Diskussionen, welche Perspektive die Partei bei 
einer bundesweiten 5%-Klausel hat und ob überhaupt eine. Gleichzeitig kommt es 
in Berlin zwischen dem Vorsitzenden der Volkskammerfraktion der DSU Walther und 
dem Innenminister Diestel zu einem tiefgreifenden Loyalitätskonflikt über die 
Art und Weise, was eine der DSU gemäße Innenpolitik sei. Diestel, als Minister 
in eine Koalitionsregierung eingebettet, erwirbt sich viele Sympathien, jedoch 
weniger bei denen, die DSU gewählt haben. Wochenlang macht dieser Konflikt 
Schlagzeilen, mit der Nebenwirkung, daß bei den Wählern Zweifel entstehen, daß 
die DSU einen ganz besonderen Anspruch auf die Integrität ihrer Führungspersonen 
habe. - Am 23.5. verfaßt der Vorsitzende der DSU von Leipzig einen "Offenen 
Brief an die Mitglieder und Wähler der DSU", indem er sie auffordert, "sich 
früher oder später - geschlossen oder einzeln - der CDU anzuschließen. Es gibt 
nichts, was die DSU von der CDU im Programm trennt. ... Mit dem Eintritt in die 
Allianz für Deutschland hat die DSU ihre historische Rolle erfüllt. So wie am 
20.1. die DSU durch den Zusammenschluß von 12 kleinen Parteien entstanden ist, 
so muß sich jetzt die DSU für ein gemeinsames großes Ziel einbringen. Die 
Freunde von der CSU in Bayern, die von der DSU ein eigenes Profil fordern, 
sollten sich einmal insgeheim die Frage beantworten, wieviele von ihnen zur CDU gingen, wenn CDU und CSU auch in 
Bayern nebeneinander bestünden." Dieser Offene Brief (11) wird von mehreren 
Tageszeitungen (12) kommentiert und zirkuliert in vollem Wortlaut innerhalb der 
DSU, die inzwischen versucht, die im Februar versäumte innerparteiliche 
Demokratie nachzuholen. Zu spät. Auf dem eilig einberufenen 1. ordentlichen 
Parteitag in Leipzig am 30.6./1.7. kommt es zum offenen Bruch: Die gesamte 
Spitze des Leipziger  Volkspartei-Flügels der DSU, darunter die Minister Ebeling und Diestel und die vorher als Generalsekretär bzw. 
Vorsitzender amtierenden Schieck und Nowack treten aus der Partei aus und zur CDU über. Und es 
wird dabei die Meinung geäußert, daß sich die DSU zur Rechtspartei entwickeln 
werde, da es ein eigenes Wählerpotential nur noch rechts von der CDU geben 
könne. Mehrere Redner vertraten  auch die Meinung, daß die DSU die CDU-Ost durch die Allianzbildung von ihrer Vergangenheit als Blockpartei "reingewaschen" hätten. Die Allianzbildung also aus Sicht der DSU ein Fehler gewesen sei, der zur Selbst-Aufopferung der Partei im übergeordneten Interesse der deutschen Einheit geführt hätte. 
Auch 
während der Verhandlungen für den Einigungsvertrag gelingt es der Rest-DSU nicht,  politisches Profil zu gewinnen und besondere Kompetenz nachzuweisen. Doch 
bleibt sich die Partei selbst treu, als ihre Volkskammerfraktion bei der 
Gedenksitzung am 17. Juni überraschend einen Initiativantrag auf sofortigen 
Beitritt nach Artikel 23 einbringt. Die Geschäftsordnung verhindert das zwar an 
diesem Tag, jedoch wird nun eine Art Wettrennen der DDR-Parteien (mit Ausnahme 
der PDS) zur deutschen Einheit hin eingeleitet.   
Am 
3.10. wird die Einheit Deutschlands vollzogen. Über diesen Tag hinaus hat die 
DSU kein verfaßtes Parteiprogramm. Das Bestreben, sich nun als besonders 
scharfe, gegen SED/PDS-Strukturen gerichtete Partei  zu profilieren, wird vom Wähler wenig 
honoriert.  Bei den Landtagswahlen am 14.10. und den Bundestagswahlen am 2.12. werden die Stimmenanteile der DSU jeweils noch einmal halbiert. Die Partei versinkt in die politische Bedeutungslosigkeit; selbst der Einzug in den Landtag von Sachsen wird verfehlt.
Eine Art politischer Nachruf
Indem 
wir das "Zwönitzer Wochenblatt", das Informationsblatt einer kleinen 
Erzgebirgsstadt zitieren, können wir noch einmal zusammenfassen: "24.1.1990: 14 
Zwönitzer Bürger gründeten die Ortsgruppe der DSU. Bereits am 25.11.1989 hatte 
es erste Kontaktaufnahmen mit dem CSU-Kreisverband Hof gegeben. Die Väter der 
DSU in Zwönitz, die ihre politische Heimat in den ersten Tagen des Aufbruchs im 
Neuen Forum sahen, verfolgen das Ziel, durch konsequentes konservatives 
Herangehen, den Bruch mit jedweder Art Sozialismus zu vollziehen." Und am 
3.10.1990 sagt A. Dietze (DSU) vor der Stadtverordnetenversammlung in Zwönitz: "Das Ziel der DSU ist erreicht! Wir wollten von Anbeginn der Revolution im Lande keine verbesserte DDR und wir wollten auch keine neue Verfassung der DDR, weil wir keine DDR mehr wollten! Wir haben als DSU konsequent nur das eine Ziel verfolgt: Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 - und das ohne wenn und aber! Und das so schnell wie möglich. ... Wir haben es geschafft!" 
 
Daß 
auch die DSU nicht die Partei der Nur-Saubermänner 
war, die die Mehrzahl der Mitglieder aus ihr machen  wollte, ist schon aus der stürmischen Zeit heraus, in der sie geboren wurde, allzu verständlich. Schon auf der Gründungsurkunde hat auch ein Bernhard Becker aus Falkensee (Gründer der Fortschrittlichen Volkspartei in Potsdam) unterschrieben (14), der unter diesen Namen dort unauffindbar blieb und wohl nur ein Stasi-Mann gewesen sein kann, der den Auftrag hatte, die DSU zu infiltrieren.
  
Wenn es je eine Chance für eine neue dauerhafte politische Kraft gegeben hat, dann vielleicht im November/Dezember 89 für eine selbständige, sich nicht als Landesverband der "CSU in Bayern" betrachtende "CSU in Sachsen". Schon Anfang Februar 90 war es dazu viel zu spät. - 
				
				
			Sich an die Rolle zu erinnern, die die DSU 1990 gespielt hat, das ist für alle Etablierten noch heute eine Peinlichkeit. Die kleine Gegenelite an der Spitze der Arbeiter in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thrüringen paßt in kein Denkschema. Die CDU hatte nach dem 18. März nur noch das Ziel, die DSU als politische Kraft auszuschalten bzw. zu absorbieren. Das ist ihr gelungen. Jede Erinnerung an die DSU und ihre Rolle soll getilgt werden. So wird in der von der CDU als ihr Ideologieblatt herausgegebenen '"Politischen Meinung"  1999 ein Aufsatz (16) von einem Peter D. Krause abgedruckt, der als "Mitbegründer des Neuen Forums" bezeichnet wird und der behauptet: "Im Herbst 1989 ereignete sich ein Umsturz ohne ideologische Avantgarde. ... Erst die massenhafte Teilnahme jüngerer Arbeiter hat den Demonstrationen die entscheidende, umstürzlerische Kraft gegeben." Daß es nicht die "Bürgerrechtler" waren, die den Einigungsprozeß in Gang brachten und diese Leute letzendlich nur einen geringen Einfluß hatten, daß erfaßt Krause zwar richtig, die DSU wird aber in seinem Beitrag an keiner einzigen Stelle erwähnt, denn die Erinnerung an die kurzfristige, bedrohliche Rolle dieser Partei ist für die CDU-Ost eine Art Alptraum und für die CDU-West für immer mit dem moralischen Vorwurf verbunden, nicht nur die Gemeinschaft der Blockflöten bevorzugt zu haben, sondern darüber hinaus die DSU-Elite vor dem 18. März vor ihren Karren der Allianz gepreßt zu haben, um sie dann in Stich zu lassen. Die Erinnerung an diese Partei ist schlicht und einfach eine Peinlichkeit. Auch die SPD wird an eine politische Niederlage erinnert; Bündnis 90/Die Grünen an einen massenwirksamen Gegner, gegen den sie sehr schlecht aussahen. Und am peinlichsten ist es für die CSU in Bayern, da das Kürzel DSU sie an eine verpaßte Gelegenheit erinnert, an eigene Unentschlossenheit und Zögern im November und Dezember 1989 und an ihre gelegentlichen Schwierigkeiten mit der CDU. So ist es für alle Etablierten wirklich am besten, die Existenz einer DSU völlig zu vergessen. Sie tanzte nicht einmal einen Sommer.
				
				
	Fußnoten
(1)  Und wenn mir, dem späteren Mitbegründer der DSU und deren Vorsitzender in der Stadt Leipzig, bereits zu diesem Zeitpunkt das Singen der Internationale als Anachronismus erschien und sie mir nicht über die Lippen kam, so dürfte das keinem aufgefallen sein. Doch wird dieser Beitrag sicher gehaltvoller, wenn in den Anmerkungen auch auf persönliche Erinnerungen mit zurückgegriffen wird.
(6) Bundesvorstand der DSU, 1990: Grundsatzprogramm der Deutschen Sozialen
(7) Lueg, Heiner: Teil-Rede-Entwurf für Herrn Ebeling zum Außerordentlichen Parteitag der DSU am 18. Februar 1990 in Leipzig. Manuskript (Maschinenschrift). 
 
(14) 
Ich erinnere mich, wie "Becker" ständig versuchte, das Wort an sich zu reißen. 
(So wie das Schnur beim "Demokratischen Aufbruch" 
gelungen war.) Bereits am 22.1. wollte "Becker" für die DSU an den Runden Tisch 
nach Berlin, wo man ihn angeblich schon erwartete. Als dann eine Woche später Ebeling und Diestel nach Berlin fuhren, um am Runden Tisch der Modrow-Regierung mitzuarbeiten, wurden sie nicht zugelassen. 
 
			(15) Man kann in diesem Zusammenhang auf Helmut Kohl verweisen, der in seiner Dissertation, Heidelberg 1958, Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiederentstehen der Parteien nach 1945, S. 1, feststellte: "Man mag vom historisch-wissenschaftlichen Standpunkt aus den Einwand erheben, der geringe Zeitabstand gefährde eine objektive Betrachtungsweise. Andererseits glaubt der Verfasser, eine Rechtfertigung dieses Versuches in der Tatsache zu sehen, daß bereits heute ... die Quellenlage außerordentlich schwierig ist."
			(16) Krause, Peter D.: Bürgerrechtler im Abseits. Politische Meinung 44, Heft 350 (1999) 13-24; hier S. 18 und 24. 
			 
				
				
	Rezension des Buches:  
	Richter, Michael: Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90 (2009)