Der verlorengegangene Zusammenhang zwischen Rente und eigenen Kindern

Bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts bestand eine klarer Zusammenhang zwischen eigenen Kindern, materiellem Besitz und eigener Altersvorsorge. Wenn ein Bauer, Bürger, Häusler oder sonstwer ein bestimmtes Alter erreichte und die Relation seiner eigenen Arbeitsfähigkeit zu der seiner Kinder einen bestimmten Punkt zusteuerte, über den zu entscheiden, jeder seinen eigenen Ermessensspielraum hatte, dann wurden Kinder und Schwiegerkinder vor dem Dorf- oder Stadtrichter zusammengerufen und dem ältesten oder jüngsten Sohn (oder Schwiegersohn) wurde, je nach Erbrecht der Landschaft, Haus und Hof übergeben. Dabei wurden Zahlungen an die Geschwister und Zahlungen und weitergehende Teilnutzungen, etwa eines Gartens, für das Elternpaar festgelegt, das sich auf das Altenteil begab. Wer nichts hatte, konnte auch nichts vererben, und hatte dann in den meisten Fällen auch keine Alters- oder Krankenversorgung. Er fiel den öffentlichen Armenkassen zur Last. Jeweils zuständig waren die Heimatgemeinden, also die Heimatdörfer. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts kam es aber zu einem solchen Zustrom in die Städte, daß dieses System zusammenbrach. Die Heimatdörfer waren nicht mehr imstande, die sehr große Zahl von abgewanderten Personen in hohem Lebensalter zurückzunehmen oder zu versorgen, die städtischen Armenkassen waren aber ebenso überfordert. In dieser Zeit kam die Idee einer allgemeinen Renten- und Krankenkassen-Pflichtversicherung auf, die für ihre Zeit einen großen Fortschritt darstellte. Reichlich 100 Jahre später muß man aber feststellen, daß sich das System verselbständigt hat und dabei ist, die europäischen Völker in ihrer Substanz auszulaugen. Für die heute Lebenden ist der Zusammenhang zwischen Kapital und lebendiger Arbeit verlorengegangen. Man zahlt in eine anonyme große Kasse ein, aus der man bei Krankheit oder im Alter viel erwartet, unabhängig davon, ob man eigene lebende Nachkommen hat (die früher direkt zahlten) oder nicht. Das Renten- und Pflichtversicherungssystem hat sich zu einem gewaltigen und in seinen Auswirkungen zerstörerischen Mechanismus der Umverteilung der Leistungen der Familien zugunsten der Kinderlosen und Kinderarmen entwickelt, und es hat mit der Einführung der Pflegepflicht-Versicherung seinen letzten absurden Höhepunkt erreicht. Die Pflege der Alten, das war Aufgabe der Familie, und auch diese Pflege wird jetzt noch in ein System einbezogen, das sich letztlich nur noch selbst zerstören kann und damit Raum für einen neuen Anfang frei geben wird. Dieser neue Anfang muß und kann nur ein Familienlastenausgleich sein, der den Zusammenhang zwischen der Zahl und der Leistungsfähigkeit der eigenen leiblichen Kinder und den Sozial- und Rentenleistungen wiederherstellt.

Die Idee eines wirklichen Familienlastenausgleichs ist nicht neu. Es ist noch nicht lange her, da wurde feierlich an Wilfried Schreiber erinnert, dem Erfinder der dynamischen Rentenformel, die der Bundesrepublik Deutschland so hohe und stabile Renten beschert hat. Unterschlagen wurde bei diesen Feiern völlig, daß gerade Schreiber alles andere als glücklich über die schließlich umgesetzte Reform und noch heute wirksame Rentenformel gewesen ist. Seine ursprünglichen Vorschläge (Schreiber 1955) bestanden nämlich aus zwei zusammenhängenden Teilen, der dynamischen Rentenformel und der Einführung der „Kindheits- und Jugendrente“, wie Schreiber den Familienleistungsausgleich nennen wollte. Umgesetzt wurde damals in den Fünfziger Jahren nur die dynamische Rentenformel, wegen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen verschiedenen Ministerien wurde damals der andere Teil der Reform vertagt und sollte nachgeholt werden. Bei dieser Absichtserklärung ist es bis heute geblieben. Schreiber war darüber so empört, daß er auch dem verwirklichten Teil seiner Reform den Segen verweigern wollte, und man konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten, seinen Unmut auch öffentlich zu äußern. „Mit der Einrichtung der Altersrente ist das Problem der Repartierung des Lebenseinkommens auch auf die ‘unproduktiven’ Lebensphasen Alter und Kindheit erst zur Hälfte gelöst“, meinte Schreiber (1955, S. 31).

Was wollte er eigentlich erreichen? Schreiber (1955, S. 20) beginnt mit einer elementaren Einsicht, die allen ins Stammbuch geschrieben werden muß, die glauben, Rente könne langfristig aus ersparten Kapitalien finanziert werden: „Die Altersrenten ... der Bevölkerung können immer nur aus dem laufenden Sozialprodukt aufgebraucht werden. Eine andere Möglichkeit ist praktisch nicht gegeben. Wir folgern: eine Reservebildung wäre sowohl überflüssig wie schädlich.“ Das, was wir heute vielleicht „kostendeckendes Kinder- und Erziehungsgeld“ nennen würden, wollte Schreiber (1955, S. 32f.) „Kindheits- und Jugendrente“ nennen, und er argumentierte so: „Jedes Kind hat bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres Anspruch auf eine Unterhaltsrente in Höhe von b Prozent des Arbeitseinkommens seines Ernährers. Jeder Arbeitstätige ist von seinem 35. Lebensjahr an zur Rückerstattung der in der Kindheit und Jugend erhaltenen Vorschußrente verpflichtet. Die Erstattungsrate bemißt sich nach einem Prozentsatz vom Brutto-Arbeitseinkommen, gestaffelt nach dem eigenen Familienstand ... . Die ‘Kindheits- und Jugendrente’ ist ein Vorgriff auf das spätere Arbeitseinkommen des Kindes und Jugendlichen. Der Zwanzigjährige ist mithin mit einer ‘Darlehensschuld’ belastet, die  er von seinem 35. Lebensjahr an an die Gesellschaft zurückerstatten muß. Nicht seine Eltern werden mit einer ‘Zeugungsprämie’ belohnt, sondern das Kind selbst erhält ein Vorschußeinkommen. Das ist der wahre Sachverhalt. Die Erstattungspflicht des Herangewachsenen wird nach seinem eigenen Familienstand gestaffelt. Als normal gilt der Erstattungsfaktor von c Prozent des Arbeitseinkommens nach Erreichung des 35. Lebensjahres für den arbeitstätigen Ehemann mit zwei Kindern. Für Arbeitstätige anderen Familienstandes gelten folgende Erstattungssätze: für Unverheiratete 2c, für Verheiratete ohne Kinder 1,5c, für Verheiratete mit 4 Kindern 0,5c, für Verheiratete mit 2 Kindern 1c. Diese Staffelung dient nur als Beispiel. Es ist natürlich auch jede andere, numerisch verschiedene, aber gleichsinnige Staffelung denkbar.“  Der Grundgedanke einer solchen wirksamen, in sich gestaffelten, Belastung war in den Fünfziger Jahren schon nicht mehr neu. Der Anfang dürfte mit Gesetzgebungen in Frankreich gemacht worden sein, daß bereits Jahrzehnte früher als erstes europäisches Land vor den bevölkerungspolitischen Problemen stand, vor denen heute alle Länder Europas (mit Ausnahme noch von Albanien) stehen. Auch in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus gab es Entwicklungen und konkrete Reformvorschläge (z.B. Frielingsdorf 1942), die auf einen Familienleistungsausgleich nach dem Kriege hinzielten. Warum sind derartige Reformen bisher steckengeblieben?

Mit welchen Begriffen oder Begründungen diese Vorschläge (vgl. auch Oeter 1989, Borchert 1993) im einzelnen auch operieren und wie unterschiedlich die vorgeschlagene Zuschläge und Belastungen auch sein mögen, eines ist ihnen allen gemeinsam und die bestehende Steuerpolitik geht ja heute zweifellos auch bereits in diese Richtung, wenn auch weniger konsequent: Ab einem bestimmten Lebensalter, in dem man erwarten sollte, daß Kinder vorhanden sind, sollten Kinderlose und - in geringerem Maße - auch Personen und Familien mit nur einem Kind kräftig zur Kasse gebeten werden, damit mit diesem Geld Familien mit zwei und insbesondere drei und mehr Kindern stärker entlastet werden können. 

Vielleicht hat zum Scheitern der Schreiberschen Gesamtreform auch beigetragen, daß seine Argumentation im unverwirklichten Teil unglücklich und möglicherweise psychologisch ungeschickt war. Eltern ziehen nämlich ihre Kinder seit eh und je groß, ohne von diesen eine direkte Rückzahlung der Aufziehungskosten zu fordern. Unsere Eltern haben das bei ihren Eltern auch nie gefordert. Und warum sollte jetzt der Staat ein solches Recht auf Rückzahlung beanspruchen? Wenn es je eine direkte Rückzahlung von Kindern an Eltern gegeben hat - und dieser Zusammenhang ist heute in Vergessenheit geraten - dann war es in Form der Altersversorgung der Eltern durch ihre eigenen Kinder. Schreiber war das völlig klar, wenn er schreibt (1955, S. 34): „Wer kinderlos oder kinderarm ins Rentenalter geht und, mit dem Pathos des Selbstgerechten, für gleiche Beitragleistung gleiche Rente verlangt und erhält, zehrt im Grunde parasitär an der Mehrleistung der Kinderreichen, die seine Minderleistung kompensiert haben.“ So herum gedreht, wird das Argument griffig: Wer mit 40 Jahren kinderlos ist, muß nicht seine eigene „Kinderrente“ abzahlen, sondern sollte seine eigene Altersrente vorausfinanzieren, indem er heute die Kinder der anderen mit unterhalten muß, da deren Erwerbsarbeit dann später - in seinem Alter - die Auszahlung seiner Rente gewährleistet.

Denn alle Rentenleistungen werden letztlich von den Kindern aufgebracht. Wer zwei geistig und körperlich gesunde leibliche Kinder großzieht oder großgezogen hat, braucht deshalb für diese „Versicherung“ - um in den üblichen Begriffen zu bleiben -  nur sehr wenig zu bezahlen, fast nichts. Wer nur ein Kind hat, muß die reichliche Hälfte aller voraussichtlichen Leistungen - bei Frauen beginnend ab 27. Lebensjahr, bei Männern ab 30. Lebensjahr -  ansparen, wer keine Kinder hat, sollte den Gesamtbetrag ansparen. Die Belastungen sollten bereits im genannten frühen Lebensalter in voller Höhe (oder sich binnen etwa 3 Jahren auf die volle Höhe steigernd) einsetzen und nach Qualifikation gestaffelt bzw. prozentual vom Einkommen sein, so daß sich jeder junge Mann und jede junge Frau schon mit 20 Jahren ausrechnen kann, welche drastischen zusätzlichen Abgaben auf ihn zukommen, wenn er keine Familie gründet. Das Gründen einer Familie sollte so die ökonomischere Verhaltensvariante werden und noch für die dreißig- und vierzigjährigen Deutschen und insbesondere für die Besserverdienenden müßte ein echter und starker wirtschaftlicher Anreiz geschaffen werden, sich ein weiteres Kind anzuschaffen, wenn die Kinderzahl nicht schon drei oder vier beträgt. Hat ein Partner (und das wird in den meisten Fällen die Frau sein) wegen der häuslichen Arbeitsbelastung kein Arbeitsverhältnis, so wäre er bei der Festlegung von Zuschlägen entsprechend seinem Bildungs- und Qualifikationsgrad einzustufen. Das gilt analog auch für Studenten.

Diese Anreize für Familien mit mehreren Kind sollten sich aus den Belastungen der Kinderlosen und Ein-Kind-Eltern selbst finanzieren [1] , so wie das heute von der Rentenversicherung auch erwartet wird und so wie es das Ziel der ursprünglichen Schreiberschen Doppelreformvorschläge gewesen ist. Der Nettoleistungstransfer, der derzeit von den Familien mit mehreren Kindern zu den kinderlosen und kinderarmen Bevölkerungsgruppen verläuft, muß umgekehrt werden. Auszahlungen an Familien mit drei und mehr Kindern sollten auf Familien mit gesundem Leistungsverhalten beschränkt werden und auf Familien, wo mindestens ein Partner deutscher Staatsbürger ist (oder Europäer aus einer kulturell nahestehenden Nation, also z.B. Niederländer oder Tscheche). Das Erziehungsgeld, was heute gezahlt wird, kann erst ein Anfang sein. [2]

Besonders dramatisch sind die Auswirkungen der ungleich verteilten Kinderzahlen über die IQ-und Qualifikationsskala (vgl. S. XXX und Tab. auf S. XX). Gegenwärtig sind von den 30- bis 39-jährigen Frauen in der alten Bundesrepublik 37% der Frauen mit Hochschulabschluß kinderlos, aber nur 15% der Ungelernten, d.h. der IQ der in alten Bundesrepublik von deutschen Frauen geborenen Kindern liegt nach seinem genotypischen Wert um 95. Der Ausgleich erfolgte bisher durch Zuwanderung, vor allem aus dem Gebiet der früheren DDR, wo die Relationen umgekehrt waren und von den Frauen mit Hochschulabschluß nur 8% keine Kinder hatten, mit Fachschulabschluß gar nur 5%, von den Ungelernten 12%, so daß hier der genotypische Wert der Kinder bei IQ 102 lag. Es ist nicht so, daß die Studentinnen und Hochschulabsolventinnen in der DDR Kinder wollten, in der Bundesrepublik aber nicht wollen. Nein, es ist die Furcht, nach Abschluß des Studiums auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance zu haben, die die Kinder verhütet. Wenn es zu Änderungen kommt, dann nur dadurch, daß sich die Wettbewerbssituation für die Mütter im Arbeitsleben grundlegend verbessert. In einer freien Wirtschaft, in der der Arbeitgeber, der eine Mutter von kleinen Kindern beschäftigt, die Risiken, z.B. durch erhöhte Ausfallzeiten bei Krankheit der Kinder und geringere Disponibilität der Frau, voll zu tragen hat, entsteht in zunehmenden Maße - allen offiziellen Beteuerungen zum Trotz - ein durch und durch kinderfeindliches Klima. Eine durchgreifende Änderung ist nur möglich, wenn sich in der Arbeitswelt etwas ändert. Würden die Risiken des Arbeitgebers bei der Beschäftigung von Müttern durch eine drastische Reduzierung des Arbeitgeberanteils bei den Lohnnebenkosten kompensiert und überkompensiert, sollte sich das kinderfeindliche Klima auch in einer freien Wirtschaft ändern oder wenigstens bessern lassen. Deshalb ein Vorschlag, der an der richtigen Stelle ansetzt: Für berufstätige Frauen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die Mutter von drei und mehr Kindern sind, sollte der Arbeitgeberanteil für die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung auf Null reduziert werden, für Mütter von zwei Kindern die Renten- und Pflegeversichung auf Null reduziert und schon bei einem Kind verringert werden. Für berufstätige Frauen und Männer mit deutscher Staatsbürgerschaft, die keine leiblichen Kinder haben, sollten ab dem 26. Lebensjahr bei Frauen und ab dem 30. Lebensjahr bei Männern hingegen die Arbeitnehmerbeiträge der Renten- und Pflegeversicherung deutlich erhöht werden, in geringerem Maße erhöht bei nur einem Kind. Studierende Frauen mit Kindern sind besonders zu fördern (so ähnlich wie das in der DDR schon einmal war, vgl. S. XX). Denken könnte man auch an die Schaffung eines Fonds, mit dem für befähigte Akademikerinnen, die Mütter sind, in der Forschung längerbefristete Arbeitsstellen von 8 oder 10 Jahren und zusätzlichen Freijahren und Verlängerungsmöglichkeiten geschaffen werden, denn die derzeitige Notwendigkeit der Männerwelt, alle 2 oder 3 Jahre einen neuen, mit immer neuer Unsicherheit belasteten Antrag auf Förderung zu stellen, zerstört das Familienleben der studierten Frauen. 

Nichts wäre jedoch verkehrter als eine unterschiedslose Ausschüttung von Zuzahlungen auf alle im Staatsgebiet Anwesenden. Profitieren würden davon dann kinderreiche asoziale Familien, für die Deutschland zu einer Art Sammelplatz würde.

Welt am Sonntag: Über die Vererbung von Intelligenz und die gesellschaftlichen Folgen

[1] Zur Deckung von möglichen Fehlbeträgen der Rentenversicherung könnte man überlegen, ob man große Vermögen, wenn sie von Kinderlosen oder Eltern von nur einem Kind vererbt oder verschenkt werden, in erhöhtem Maße besteuert, sofern sie nicht an nahe leibliche Verwandte mit mehreren Kindern vererbt werden.

[2] Auch eine private Altersversicherung ist unsozial. Während es dem verdienenden, kinderlosen Single leicht fällt, eine solche Versicherung anzusparen; wäre sie für Familien mit mehreren Kindern eine Zumutung. Es sind aber dann diese Kinder, die durch ihre lebendige Arbeit dem Single-Rentner seine Rente zahlen.

Startseite