Aus der ursprünglichen Absicht, "Die IQ-Falle" für eine 2. Auflage zu überarbeiten, entstand ein neues Buch: Die Intelligenz und ihre Feinde: Aufstieg und Niedergang der Industriegesellschaft. Graz 2012, 544 Seiten
2. Auflage, überarbeitet und erweitert: Volkmar Weiss: Das Tausendjährige Reich Artam: Die alternative Geschichte der Deutschen 1941-2099. Arnshaugk 2011, 383 Seiten
Der folgende Text aus: Weiss, Volkmar: Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik. Graz: Leopold Stocker 2000, S. 61-68
Die Hochbegabtenuntersuchungen
Galton hat 1869 als erster die Häufigkeiten eines bestimmten Begabungsgrades unter den Verwandten von Hochbegabten und berühmten Persönlichkeiten ermittelt (siehe die Tabelle dazu). Einige Kritiker meinten, Galton hätte bei der Auswahl seiner Hochbegabten keine gute Quellengrundlage zur Verfügung gehabt und versuchten es besser zu machen. So ermittelte Juda (1953) über die Befragung von 200 Gutachtern die Namen von 113 hervorrragenden Künstlern und 181 hervorragenden Wissenschaftlern des deutschsprachigen Raumes, die nach 1650 geboren waren. Unter den näheren Verwandten der Künstler fanden sich wieder besonders viele Künstler, meist gleicher Kunstgattung, vornehmlich bei den Musikern, aber auch bei den bildenden Künstlern. 74% der Wissenschaftler entstammten ihrer sozialen Herkunft nach der sozialen Oberschicht, nur 3,3% der Väter waren Handarbeiter und 4,5% Sonstige (d.h. Arbeiter, Landarbeiter).
Rüdin (1951) hatte sich mit der Lebensbewährung, den Gesundheitsverhältnissen
und der sozialen Herkunft von 412 Einser-Abiturienten befaßt, die von einer
Stiftung des Bayerischen Staates, die noch heute besteht, besonders gefördert
werden. Von den Vätern dieser Abiturienten mit Spitzenleistungen gehörten 50%
der sozialen Oberschicht an, ungelernte Arbeiter waren nur 0,5%. Ebenso wie Juda kann Rüdin die Häufung
hervorragender Leistungen unter den Verwandten, die Galton als erster belegt hatte, bestätigen, desgleichen die Abnahme dieser Häufigkeiten mit der Abnahme des Verwandtschaftsgrades.
Auch die Stammbäume bestimmter berühmter Familien werden immer wieder
als Beleg für die Vererbung der Begabungen angeführt. Die Mathematikerfamilie
Bernoulli, die Musikerfamilie Bach, die Familie Darwin (zu der auch Galton gehörte), die Erfinderfamilie Siemens und die Politikerfamilie Kennedy sind die bekanntesten Beispiele. In enger Verwandtschaft finden wir hier jeweils mehrere hervorragende Persönlichkeiten, deren Leistungen in mehreren Vertretern einen Gipfel von geschichtlicher Bedeutung erreichen. Ähnliche Beispiele lassen sich unter Malern, ja auch unter Leistungssportlern und Artisten und auf anderen Leistungsfeldern finden.
Die Familie Bernoulli hat in vier Generationen 8 Mathematiker von
überragender Bedeutung hervorgebracht, die 103 Jahre lang ununterbrochen den
Lehrstuhl für Mathematik der Universität Basel innehatten. Bemerkenswerterweise
ist aber kein Bernoulli gleich Mathematiker gewesen, und neben der Mathematik
waren die acht noch Professoren für Physik, Chemie, Jura, Astronomie, Logik,
Architektur und Ingenieurwesen - ein hervorragendes Beispiel für die
Begabungsrichtung, die Weiss (1972) als mathematisch-technisch bezeichnet hat und für die eine sehr hohe Allgemeine Intelligenz, d.h. ein IQ über 125, die allererste Grundvoraussetzung ist. Ein weiterer Bernoulli. Professor Carl Christoph Bernoulli (ein Enkel des letzten großen Mathematikers Bernoulli), war ein Technologe und Nationalökonom von großem Format. Die Ehefrauen der ersten Bernoulli entstammten aus Basler Geschlechtern, aus denen ebenfalls namhafte Gelehrte hervorgegangen sind.
Die Nachkommen des Rechenmeisters Adam Ries (der von 1492 bis 1559
lebte), die der Adam-Ries-Bund im sächsischen Erzgebirge erfaßt und in einem
Buch (Gehler und Lorenz 1997) zusammengestellt hat, üben heute alle
erdenklichen Berufe aus und nur wenige glänzen noch durch eigene mathematische
Begabung und hohe Intelligenz. Aber es gibt unter den Nachkommen auch Linien
(z.B. die Verlegerfamilie Teubner), in denen über zehn, ja zwölf Generationen niemals die Kontinuität der Hochbegabung verlorenging, d.h. in denen die Ehepartner immer wieder aus einem vergleichbaren sozialen Milieu stammten. Jedoch gilt für die Gesamtheit der Vorfahren, Nachfahren und Seitenverwandten berühmter Personen, daß sie pro Generation und pro Abnahme des Blutverwandtschaftsgrades zu der hervorragenden Persönlichkeit der Gesamtbevölkerung immer ähnlicher werden, aus der sie stammen. Wie sollte es auch anders sein.
In „POGGENDORFF Biographisch-Literarisches Handwörterbuch der exakten Natruwissenschaft“, Band VII a - Supplement, hat der
Bearbeiter Zaunick (1969) 800 markante deutsche
Vertreter der exakten Naturwissenschaft, Medizin und Technik erfaßt. Bei 65
Gelehrten und Erfindern sind unter einer Zusatzrubrik „Genealogie“ Hinweise auf
oft sehr umfangreiche Arbeiten über die Verwandten dieser bedeutenden Erfinder
und Wissenschaftler zu finden. So finden wir unter den Verwandten des
Mathematikers Leonhard Euler auch die Namen der mehrfachen Nobelpreisträger
Euler aus Schweden; unter Justus von
Liebigs Nachkommen lesen wir überrascht den Namen des Nobelpreisträgers Max
Delbrück. Zusammen betrachtet sind das alles eindrucksvolle Belege für den Befund, daß die nächsten Verwandten von hochleistungsfähigen Persönlichkeiten, wenn nicht selbst auch hochleistungsfähig, so doch meist weit überdurchschnittlich sind.
Neben den schon genannten Arbeiten, in denen nach Galtons Vorbild die gesamte Verwandtschaft untersucht worden ist, gibt es auch Untersuchungen, die sich auf die soziale Charakterisierung der unmittelbaren Herkunft hervorragender Persönlichkeiten beschränken. Als erste Arbeit ist die von Maas (1916) Über die Herkunftsbedingungen der geistigen Führer zu nennen. Als Material dienten im 4421 berühmte Persönlichkeiten aus der Allgemeinen Deutschen Biographie, die in den Jahren 1700 - 1860 geboren sind und deren soziale Herkunft nach den damals gültigen Maßstäben statistisch analysiert worden ist (siehe die folgende Tabelle).
Soziale Herkunft von 4421 berühmten deutschen Persönlichkeiten (in
%) |
geboren bis jeweils
1789
1818 1860 Adel
19,2
14,2
11,0 Intellektuelle
und künstlerische Sphäre
53,3
55,8 60,0 Bourgeoisie
und Mittelstand
15,6
16,4
16,4 Handwerker,
Bauern und Proletariat
11,9
13,6
12,6 100 100 100 Quelle: Maas (1916) |
„Von den 4421 untersuchten Persönlichkeiten“, so schreibt Maas, stammen nur 635 aus den niederen Volksklassen, ungefähr ein Sechstel.“ Bei künstlerischen Berufen ist mit 22% der
Prozentsatz etwas größer als bei naturwissenschaftlich-technischen Berufen.
Maas, wie übrigens auch Galton schon, sieht die
Ursache dafür nicht nur in der Vererbung der Begabung: „Häufig wird der Sohn frühzeitig in das Berufsmilieu des Vaters
hineingezogen, was sein Interesse weckt, oder im häuslichen Kreis früh zu
Tätigkeiten angehalten, die technische Schwierigkeiten seines Berufes leichter überwältigen lassen, was ihm dem Eindringling von außen gegenüber, den jene Schwierigkeiten abhalten, einen großen Vorteil verschafft. Bei Musikern und Malern spielen diese Umstände neben der Vererbung des musikalischen und malerischen Sinnes eine ziemliche Rolle. So stammen 38% der berühmten Musiker von Berufsmusikern, ... 24% der Maler stammen von Berufsmalern. ... Das Milieu wirkt in den meisten Fällen in die Richtung der Vererbung und unterstreicht ihre Wirkung. Den Kindern begabter Menschen steht gewöhnlich ein besonders günstiges Milieu zur Verfügung, das Milieu ihrer Familie, ihrer Eltern.
Als Mitarbeiter des Patentamtes der USA untersuchte Rossmann (1930) die soziale Herkunft von 710 amerikanischen
Erfindern, von denen jeder im Mittel je 39 Patente erhalten hatte. Von den
Vätern der Erfinder waren ein Drittel (33,3%) „Professionals“ (d.h. Ingenieure,
Juristen, Lehrer, Wissenschaftler, Ärzte), ein weiteres Drittel (35,5%) war „im
Handel“ tätig ; Facharbeiter (und Handwerker) waren 16,2%, in der Landwirtschaft waren 15,0%.
Visher (1948) hatte sich mit der sozialen Herkunft führender amerikanischer
Wissenschaftler befaßt. Aus dem „Directory of American Men of Science“, einem
biographischen Lexikon (ähnlich dem POGGENDORFF), wurden nach möglichst
objektiven Maßstäben aus den Vertretern der verschiedenen Wissensgebiete 849
besonders bedeutende Männer herausgesucht. Deren Väter waren zu 45,5%
„Professionals“, im Handel waren 23% tätig, in der Landwirtschaft 22%;
Facharbeiter waren 8%, ungelernte Arbeiter 1%. - Wenn wir die Ergebnisse von Rossmann, Visher, Maas, Juda, Rüdin miteinander vergleichen - und es ließen sich noch mehr solche Untersuchungen anführen, auch aus Frankreich, Italien und anderen Ländern, so fällt einem, obwohl die Uhren der sozialökonomischen Entwicklung in jedem Land etwas anders gehen, eine gewisse Ähnlichkeit auf: ein Drittel bis die Hälfte aller Personen mit herausragenden Leistungen haben Väter mit einem Beruf, den wir heute als Intelligenzberuf bezeichnen, dagegen ist der Prozentsatz der Väter, die ungelernte Arbeiter sind, sehr gering. Und ähnliche Ergebnisse liegen auch für die führenden Vertreter des industriellen Managements und des Bankwesens vor.
Bei den bisher angeführten Arbeiten war die hervorragende Lebensleistung das Auswahlkriterium der Hochleistungsfähigen gewesen. Die Möglichkeit, eine derartige Leistung zu vollbringen, hängt aber nicht nur von einer Reihe wichtiger sozialer Faktoren ab, sondern auch von Zufälligkeiten. So kann ein an und für sich Hochbegabter durch einen schweren Unfall oder eine organische Erkrankung daran gehindert werden, große Leistungen zu vollbringen. Diese und viele andere, mehr schulpraktische Gründe, ließen die Psychologen um 1900 nach objektiven Verfahren suchen, den Intelligenz- und Begabungsgrad zu messen, was einer der Anlässe zur Entwicklung von Intelligenztests war.
Nach jahrelangen Vorbereitungen und Voruntersuchungen, bei denen der
von Binet entwickelte Intelligenztest zum Stanford-Binet weiterentwickelt wurde, testeten Terman und sein Mitarbeiterstab 1922 in der Hauptuntersuchung
in Kalifornien 6 - 8% von 168 000 Schülern der Klassen 1 - 8. Es waren die
jeweils 1 - 5 besten Schüler aller Klassen in öffentlichen Schulen. Die Schüler
waren von den Lehrern benannt worden, so daß die Terman-Studie
also von einer Kombination von Lehrerurteil und Testergebnis ausgeht. Die
Hauptgruppe der 643 leistungsstärksten Schüler, die auf diese Weise ausgelesen
wurde, erreichte in der Kurzform des Stanford-Binet, die aus nichtverbalen Tests besteht, einen IQ von durchschnittlich 150 und alle hatten einen IQ von 140 oder höher. Jedem der leistungsstärksten Kinder wurden dann an verschiedenen Tagen zwei weitere Intelligenztests und ein standardisierter Schulleistungstest vorgelegt, ferner ein 50-min-Test über Interesse an Spielen und Freizeitbeschäftigungen. Eltern und Lehrer hatten umfangreiche Fragebogen auszufüllen.
Die begabten Schüler waren in der Regel in der Schule eine Klasse höher eingestuft, als das ihrem Alter entsprach, d.h. sie hatten meist eine Klasse übersprungen. Bei der ärztlichen Untersuchung war ihr gesundheitlicher Zustand gut und sehr gut; sie waren durchschnittlich größer und schwerer als ihre Mitschüler. Hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft zeigte sich die schon bekannte Verteilung: 31,4% der Väter waren Professionals (wir würden heute sagen: Angehörige der Intelligenz), 31,2% leitende Angestellte in Wirtschaft und Verwaltung, 18,8% sonstige Angestellte; 11,8% Facharbeiter; 6,6% Angelernte und Ungelernte, d.h. letztere zum Teil Kinder von Einwanderern der ersten Generation in oft sehr bescheidenen sozialen Verhältnissen.
Terman stufte die Väter, da er diese selbst nicht testen konnte, nach dem
Grad der Schwierigkeiten ihrer Berufe, d.h. nach den Intelligenzanforderungen
ihrer Berufe, ein und verwendete dazu die Skala von Barr, die auf dem gemittelten Urteil von 20 Sachverständigen beruht (vgl. die folgende Tab.).
Intelligenzanforderungen
der väterlichen Berufe von 643 hochbegabten Kindern in
Kalifornien 1922 (in %) |
Punktwert Väter
der
Väter der der Barr-Skala
Hochbegabten
Grundgesamtheit 15
und mehr
26,8
2,2 12-15
26,8
4,5 9-12
36,1
37,0 6- 9
8,9
13,4 3- 6
1,3
42,9
100
100 Mittelwert
12,8 7,9 Quelle: nach Terman
1925 |
Berufliche Qualifikation von hochbegabten Männern im Alter von 35
Jahren im Vergleich zu allen
männlichen Beschäftigten Kaliforniens um 1942 (in %) |
Berufliche Qualifikation Hochbegabte Männliche Beschäftigte
Kaliforniens
(n = 724) (n = 1 878 595) Akademiker
45,4 5,7 Leitende Berufe und Stellungen 25,7 8,1 Angestellte, Facharbeiter 20,7 24,3 Angelernte, Ungelernte und in der 8,1 61,8 Landwirtschaft Tätige 100 100 Quelle: nach Terman und Oden 1948 |
Diese Terman-Studie ist aber vor allem
dadurch bemerkenswert, daß die Hochbegabten dieser Untersuchung jahrzehntelang (Terman und Oden 1948, Oden 1968) bis in die unmittelbare
Gegenwart, weiter verfolgt, befragt und getestet wurden, ebenso ihre Ehepartner
und Kinder. 1960 waren 94% der männlichen Hochbegabten dieser Studie
verheiratet und 91% der weiblichen. Der mittlere IQ ihrer Kinder betrug 133,
bei 34% war er wieder höher als 139. O,5% der Kinder waren geistig retardiert, d.h. krank. Die Hochbegabten und ihre Familien waren in hohem Grade sozial angepaßt, hatten ein weit überdurchschnittliches Einkommen erreicht und übten qualifizierte und hochqualifizierte Berufe aus. Mit einem Wort, sie gehörten zur Intellektuellen Elite.
Oden (1968), die innerhalb der Begabten noch einmal zwei Gruppen hinsichtlich ihres Lebenserfolges unterschied, konnte feststellen, daß diese Unterschiede vor allem darauf beruhten, daß der IQ der Ehefrauen bei den Erfolgreicheren höher war und demzufolge auch der IQ der Kinder. Waren von den Erfolgreichsten alle verheiratet und davon nur 16% geschieden, so waren von den weniger Erfolgreichen 42% geschieden, 18% aber unverheiratet geblieben, was unterstreicht, daß Persönlichkeit eben mehr ist als Intelligenz und soziale Leistung auch durch ganz andere Faktoren der psychischen Stabilität mitbestimmt wird als die bloße Intelligenz.
Als Hauptergebnis der Terman-Studie, an der
niemand vorbeigehen kann, der sich mit Schulbegabung und Lebensbewährung
befaßt, wird aber allgemein gesehen, daß bewiesen werden konnte, daß
intellektuell Hochbegabte in der Regel hinsichtlich ihrer geistigen und
körperlichen Gesundheit überdurchschnittlich sind und bleiben. War doch um 1900
das Vorurteil weit verbreitet gewesen, daß Hochbegabte geistig und körperlich
anfällig und schwächlich seien, ja die Hochbegabung selbst so eine Art
Krankheit sei, woraus der Schluß gezogen wurde, daß zu viel und zu eifriges
Lesen, ein häufiges Anzeichen für Hochbegabung, körperlich und geistig
schädlich sei. Mit diesem Vorurteil wurde mit der Terman-Studie aufgeräumt, zumindest in der Wissenschaft.
Detlef H. Rost: Klare Worte zur Hochbegabungs-Diskussion
FDP-Politiker MdB Daniel Bahr: In Deutschland kriegen die Falschen die Kinder
Welt am Sonntag: Über die Vererbung von Intelligenz und die gesellschaftlichen Folgen