Vorgeschichte und Folgen des arischen Ahnenpasses: Zur Geschichte der Genealogie im 20. Jahrhundert. Arnshaugk 2013, 374 Seiten

Volkmar Weiss: Die Intelligenz und ihre Feinde: Aufstieg und Niedergang der Industriegesellschaft. Graz 2012, 544 Seiten

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Das Überleben von Johannes Hohlfeld als Geschäftsführer

 der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte

 in Leipzig in den Jahren 1933-1939

 Volkmar Weiss

 

 ?Das Werk der Zentralstelle ..., die in diesem Jahre auf ein fünfzigjähriges Bestehen zurückblicken kann, wurde durch mehr als 25 Jahre wesentlich von Johannes Hohlfeld mitgestaltet?, schrieb 1954 sein Sohn [WB1]   [1] in einem ersten kurzen Versuch, die Leistungen seines Vaters zu würdigen, der am 1.1.1888 in Reichenbrand bei Chemnitz als Sohn eines sächsischen Pfarrers geboren und am 21.4.1950 in Leipzig nach schwerer Krankheit gestorben war. Hohlfelds eigenes Lebenswerk als anerkannter Fachhistoriker und als Genealoge ist so umfangreich, sein Einfluß - insbesondere als Schriftleiter der ?Familiengeschichtlichen Blätter? (1924-45) und Bearbeiter der ?Familiengeschichtlichen Bibliographie? (seit 1926 bis zu seinem Tode) - so groß gewesen, daß es Aufgabe dieses Aufsatzes hier nur sein kann, einen Baustein zu einer umfassenden Biographie beizutragen, die für einen der zentralen Leistungsträger in der Geschichte der Genealogie noch zu schreiben ist, mehr nicht.

 

 Die Leipziger Zentralstelle in den Zwanziger Jahren

Ehe wir uns unserem zeitlich begrenzten Thema zuwenden, ist es unumgänglich, etwas über die Entwicklung zu sagen, die Hohlfeld und die Zentralstelle bis 1932 genommen hatten.

   Hohlfeld hatte ab 1908 in Leipzig Germanistik und Geschichte studiert und war bereits 1911 promoviert [2] worden. Am 1. Weltkrieg nahm er als Infanterieoffizier [3] teil und lebte danach als freier Schriftsteller in Leipzig. Vertragliche Bindungen gab es zum Bibliographischen Institut [4] als dessen Redakteur und Mitarbeiter. Mehr als zwei Jahrzehnte lang konnte Hohlfeld einen Lehrauftrag an der Leipziger Universität ausüben (d.h. auch über die gesamte Zeit von 1933-1945 und danach) und damit eine Doppelstellung einnehmen, die der Genealogie und der Zentralstelle sehr zugute kam [5] . Insbesondere seine Leistung als Fachhistoriker verdient eine getrennte Analyse und Würdigung, die den Rahmen unseres Beitrags sprengen würde.

    Nachdem Hohlfeld bereits 1912 als wissenschaftliche Hilfskraft in der Zentralstelle tätig gewesen war [6] und nach dem Kriege die ?Leitung der Vortragsabende der Leipziger Ortsgruppe  der Zentralstelle eine sehr dankbare und lohnende Aufgabe? [7] für ihn war, übernahm er im Frühjahr 1924 als geschäftsführendes Vorstandsmitglied die praktische Leitung der Einrichtung und behauptete sich in dieser Stellung bis zu seinem Tode im Jahre 1950. Vorgänger von Hohlfeld war Friedrich Wecken (1875 - 1946 vermißt), der 1919 die erste Auflage des ?Taschenbuchs der Familiengeschichtsforschung? herausgebracht hatte, dessen Nützlichkeit schon allein dadurch bewiesen ist, daß es bis heute - stark verändert und erweitert - 11 Auflagen [8] erlebt hat. Hans Breymann, Vorsitzender der Zentralstelle, äußert sich aber sehr kritisch [9] über Wecken: ?Er war jahrelang vor Herrn Dr. Hohlfeld Geschäftsführer der Zentralstelle. Einmal hat er aber die Eigenschaft, ständig neue Dinge anzufangen und die angefangenen dann liegen zu lassen, was sich schliesslich als unhaltbar herausstellte und mich als Vorsitzenden viel in Verlegenheit gebracht hat. Schlimmer noch ist seine Unfähigkeit, wirtschaftliche Ordnung zu halten. Diese hat ihn verleitet, Aufträge an sich persönlich zu ziehen, Vorschüsse anzunehmen, dann nichts dafür zu tun, oft sich überhaupt nicht zu äussern, bis schliesslich die Beschwerden, die an mich gelangten, immer zahlreicher wurden und es nötig machten, ihm sein Amt zu entziehen und schliesslich ihn zum Austritt aus der Zentralstelle überhaupt aufzufordern. ... Unser Ansehen wäre mitbeeinträchtigt worden, wenn wir nicht ganz scharf von ihm abgerückt wären. - Es ist schon ausserordentlich viel gewesen, dass wir uns dann mit Hinblick auf seine unglückliche kinderreiche Familie entschlossen haben, ihn mit Einzelarbeiten, wo seine genannte Neigung nicht gefährlich werden konnte, gelegentlich zu beschäftigen. Gegen seine wissenschaftliche Tätigkeit ist nichts einzuwenden. ... Dass dieser Mann aber nicht wieder in die Führung der Zentralstelle kommen kann, brauche ich hiernach wohl nicht weiter zu begründen.? Der letzte Satz ist dabei für unser Thema der wichtigste, denn damit wird in diesem 1933 geschriebenen Brief der erste Versuch der Nationalsozialisten abgewehrt, Hohlfeld aus seinem Amt zu drängen.

   Womit hatte sich Hohlfeld bei den neuen Machthabern so unbeliebt gemacht? In seiner ?Geschichte des Deutschen Reiches 1871-1926? [10] hatte er über die Ereignisse des Jahres 1923 geschrieben: ?Und wenn auch der sächsisch=kommunistische Partikularismus von vornherein den Fluch einer gewissen Lächerlichkeit an der Stirn trug, als Vorkämpfer der kommunistischen Opposition war er doch ein gefährlicher Gegner gewesen. Setzte sich das Reich gegen den ?Zeignerkommunismus? nicht durch, so drohte die sächsische ?kommunistische Zelle? weiterzuwuchern wie ein Krebsgeschwür. ... Ohne das Eingreifen des Reiches in Sachsen und Thüringen, wo sich die Reichsexekution anschloß, wäre wohl ein Bundesstaatenkrieg zwischen Mitteldeutschland und Bayern, zwischen den proletarischen Hundertschaften von dort und den Hitlergarden von hier, eher oder später Wirklichkeit geworden. Natürlich mußte sich das Reich notwendig nun auch gegen Bayern durchsetzen ... . In diesen Kreisen glühte noch in reinem Feuer der Begeisterung der Gedanke der nationalen Befreiung von französischer Fremdherrschaft und von bolschewistischer Überfremdung. Sie bekämpften die Reichsregierung nicht um ihrer Stärke willen ..., sondern wegen ihrer Schwäche. An die Sohlen dieser in ihren Idealen reinen, wenn auch politisch unausgereiften Bewegung hatte sich aber eine ... Partei geheftet, die sich erschöpfte in einer rein negativen, ätzenden Kritik alles Bestehenden in einem gedankenarmen Antisemitismus: die nationalsozialistische Partei unter Führung des zugewanderten österreichischen Demagogen Adolf Hitler. ... Was aus diesem Wirrwarr folgte, war eine Tragikomödie. Hitler erwählte sich den Jahrestag der Revolution in Bayern, den 8. November, für einen Putsch ... .? -  Darüber hinaus hatte sich Hohlfeld als überzeugter Demokrat aktiv und sichtbar politisch betätigt und war 1932 bei den Reichstagswahlen in Leipzig Spitzenkandidat der Deutschen Staatspartei [11] gewesen und hatte sich am 6.12.1932 in der ?Neuen Leipziger Zeitung? kritisch über Hitler geäußert.

     In den späten Jahren der Weimarer Republik erlebte die Leipziger Zentralstelle unter Hohlfelds Führung eine Blütezeit (vielleicht die einzige in ihrer fast hundertjährigen Existenz?). Man sehe sich nur einmal die Broschüre [12] an, die 1929 anläßlich des 25jährigen Bestehens der Zentralstelle erschienen ist, welches Ansehen die Zentralstelle in der Stadt Leipzig und darüber hinaus genoß. Mit der Deutschen Bücherei in Leipzig war 1921 ein Vertrag geschlossen worden, durch den eine beiderseitige unkündbare Arbeitsgemeinschaft auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ohne zeitliche Grenzen begründet worden war. Da es niemals das Ziel der 1904 gegründeten Zentralstelle gewesen war, die Totalität aller genealogischen Quellen an einer Stelle verfügbar zu machen (diese Zielstellung gab es dann nach 1933 für das Reichssippenamt  tatsächlich), sondern möglichst alle genealogischen Publikationen des deutschsprachigen Raumes bibliographisch zu erfassen und deshalb auch zu sammeln, bot diese Symbiose mit der Deutschen Bücherei, nachdem sich herausgestellt hatte, daß diese allein außerstande war, die große Zahl von nicht im Buchhandel erscheinenden Drucken zu erfassen, für die Zentralstelle eine gesicherte Existenzgrundlage [13] , die erst durch die Entwicklung nach 1945 [14] zerstört (bzw. noch nicht wiederhergestellt) worden ist.

     Dennoch war auch die Zentralstelle und ihre Arbeit nicht frei von den schweren gesellschaftlichen Konflikten, die der Weimarer Republik zu ihrem Grabe geworden sind. Bereits 1913 hatte sich der Verein ?Der deutsche Roland? von dem bürgerlichen Verein ?Roland? in Dresden getrennt. In einer ?Denkschrift über die Entwicklung des ?Deutschen Roland?, Verein für deutsch-völkische Sippenkunde zu Berlin? (links oben mit zwei Hakenkreuzen auf dem Titel), hatte ihr Vorsitzender, Dr. Bernhard Koerner (1882-1952), 1927 geschrieben: ?Schon unter seinem ersten Leiter Dr. Klemm 1904 ... hatte der Berliner Kreis einen ausgesprochen völkischen Charakter. Juden wurden grundsätzlich nicht aufgenommen, später wurde auch das Blutsbekenntnis, das jeden jüdischen oder farbigen Blutseinschlag ausschloß, eingeführt.? Koerner war es auch gewesen, der 1920 in seinem Vorwort als Herausgeber in dem im Verlag von C. A. Starke gedruckten 33. Band des ?Deutschen Geschlechterbuches? (auf S. IX-X, vorn der Schmutztitel des Bandes mit zwei Hakenkreuzen) die Schaffung eines ?Reichs-Sippenamtes? gefordert hatte, ?das nicht nur die Namens= und Familien=Angelegenheiten, die Standesämter und Kirchenbücher, die Angelegenheiten der Volkswohlfahrt und Rassenhygiene, sondern auch das Auswanderungswesen, den Ab- und Zufluß europäischen weißen Blutes regeln müßte. ... Der einzige Verein, der die Rassenfrage ... klar erkannt hat, ist der Verein Roland zu Berlin. Er hat es unternommen, ... einen ?Bund arischer Sippen? zu begründen.?  Dieses Vorwort und die Politik des ?Deutschen Roland?  brachten Koerner in einen scharfen Gegensatz zu den führenden Köpfen der Leipziger Zentralstelle, der in zahreichen Artikeln und Repliken in den von ihr herausgegebenen ?Familiengeschichtlichen Blättern. Monatsschrift für die gesamte deutsche wissenschaftliche Genealogie? ihren Niederschlag fand. Koerner konterte auf seine Weise und empfahl im 14. Heft (1921) auf S. 218 der geschäftlichen Mitteilungen des ?Deutschen Roland?: ?Mitglieder des Dresdener Rolands, die jüdische oder farbige Bluts=Beimischung haben oder mit einer Frau solchen Blutes verheiratet sind, sollen ... auf die hiesige Ortsgruppe der Zentralstelle in Leipzig, die sie sicher gern aufnehmen werden, verwiesen werden.? Tatsächlich gehörte zu den führenden Köpfen der Zentralstelle der Leipziger Professor für Nationalökonomie Gerhard Kessler [15] (geb. 1883), der als Jude dann 1933 emigrierte [16] .

   

   Mit der Machtergreifung der Sippenforscher 1933 gerät die Leipziger Zentralstelle sofort unter politischen Druck

 Die Behandlung unseres Themas wird dadurch erleichtert, daß Ribbe [17] mit seiner Arbeit den vom Fachhistoriker schon lange dringend benötigten Rahmen abgesteckt hat, in dem wir uns im folgenden bewegen werden und dessen Kenntnis wir voraussetzen müssen.

    Als mit Heinrich Himmler und R. Walther Darré 1933 zwei Diplom-Landwirte, die die praktischen Erfahrungen der Viehzucht auf die menschliche Gesellschaft übertragen wollten, in führende Positionen gelangt waren, wurden wichtige Stellungen im Staat mit nationalsozialistischen Sippenforschern besetzt. Wer heute in einem demokratischen System einen Machtwechsel und die Langsamkeit der dann erfolgenden Änderungen erlebt, der ist als Historiker erstaunt, mit welcher geplanten Zielstrebigkeit z.B. bereits am 7.4.1933 das ?Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums? erlassen worden ist, in dem bekanntlich der ?arische? Abstammungsnachweis gefordert worden ist. Damit wurde die Genealogie zu einem Politikum von existentieller Bedeutung für den einzelnen und zentraler für die Gesellschaft.

     Sofort setzten deshalb 1933 Bestrebungen ein, alle familiengeschichtsforschenden Vereine zu kontrollieren und in einem Dachverein zusammenzufassen. Eine der ersten und wichtigsten Angriffspunkte war die Gleichschaltung der Leipziger Zentralstelle. Wenn deren Vorsitzender Breymann bereits am 20.4.1933 [18] an Achim Gercke (geb. 1902), dem ?Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern? (und vor der Machtergreifung Leiter der NS-Auskunft in München), schreiben muß: ?In letzter Zeit haben verschiedene Aussprachen zwischen Ihren Herren Pg. Staatsanwalt Dr. Lorenz und Erich Wasmannsdorff mit mir stattgefunden. ... Insbesondere wird die Zentralstelle, schon in ihrer anerkannten Stellung als Zentralinstitut für wissenschaftliche Deutsche Genealogie, die jetzt uns nationalen Kreisen insgesamt beschäftigenden Angelegenheiten der Blutsfrage selbstverständlich in jeder Weise fördern und unterstützen?; so macht das deutlich, daß die Zentralstelle bereits in den allerersten Wochen nach der Machtergreifung unter Druck geraten sein muß.

    Was kann eine Institution in so einer Situation machen, wenn sie von einer Gruppe von klugen und wirklich handlungsfähigen Personen, wie sie die Zentralstelle damals hatte, geführt wird? (Und wir dürfen uns vorstellen, daß Hohlfeld an den internen Diskussionen dieser Gruppe, über die es verständlicherweise keine Protokolle gibt, teilgenommen hat.) Eine solche Institution kann sich teilweise anpassen oder eine Anpassung vortäuschen; kann vorgeben, gar nicht so unterschiedlich zu sein; kann sich tatsächlich oder zum Schein umstrukturieren, um weniger Angriffsfläche zu bieten; kann versuchen, die Kompetenz der Stelle - von der der Hauptangriff ausgeht (und das waren zweifellos Gercke und seine Mitarbeiter), in Zweifel zu ziehen und deren Machtmöglichkeiten zu unterlaufen, indem man selbst nach fachlich kompetenten und politisch einflußreichen Verbündeten Ausschau hält. All das ist von der Zentralstelle, in Zusammenwirken mit anderen Vereinen, bis 1935 mit Erfolg praktiziert worden (vgl. die Ausführungen bei  Ribbe [19] ). Ein besonders geschickter Schachzug war dabei die im April 1934 durchgeführte Neugliederung der Zentralstelle in eine Stiftung und einen Förderverein, wodurch dem ursprünglichen Verein sein Vermögen, dessen Enteignung durch die nationalsozialistische Reichsstelle für Sippenforschung (d.h. Gercke) drohte, entzogen und dieses Vermögen der an die Deutsche Bücherei gebundenen Stiftung übereignet worden ist.

      Nun wäre es eine völlig falsche Vereinfachung, die führenden Köpfe der Zentralstelle von 1933 als eine Gruppe von liberalen, fachkundigen Demokraten zu verstehen, denen fachlich inkompetente Nationalsozialisten gegenüberstanden. Es wäre einmal ein reizvolles Thema, die Führungspersönlichkeiten der Zentralstelle in der gesamten Zeit von 1904 bis 1933 in ihrer Vielschichtigkeit und Doppelbödigkeit auszuleuchten, doch würde das hier viel zu weit führen. Wir beschränken uns auf Selbstzeugnisse und lassen wieder Breymann [20] zu Wort kommen, der am 20.4.1933 dann an Gercke im weiteren schreibt: ?Wie ich überhaupt versichert zu sein bitte, dass ich zu jeder Erörterung und Erledigung im Interesse der uns gemeinsam beschäftigenden Fragen, schon in meiner Eigenschaft als Deutschnationaler und früher langjähriges Mitglied der Konservativen Partei durchaus gern zur Verfügung stehe. ... Dies vorausgeschickt, gestatte ich mir über die einschlagenden Personalfragen folgendes zu bemerken. Zunächst gehören ausser mir auch Ihr Pg. Staatsanwalt Dr. Lorenz dem Vorstand dieser Zentralstelle an. Herr Dr. Lorenz ist ein sehr regelmäßig an allen Beratungen teilnehmendes, genealogisch bestens versiertes und deshalb besonders geschätztes Mitglied unseres Vorstandes. Dies dürfte schon einige Beruhigung für sie bieten. ... Übrigens sind auch im Hauptausschuß Nationalsozialisten vertreten, ohne dass ich bezüglich aller einschlägigen Personen dies genau angeben könnte.? Und dann weiter über Hohlfeld [21] : ?Herr Dr. Hohlfeld ist ein durchaus großzügig angelegter Charakter. An seiner Vaterlandsliebe kann gar kein Zweifel bestehen. Jeder hat ja in der früheren Vergangenheit seine eigenen Gedanken über Deutschlands Zukunft gehabt. Sein Plan ging dahin, die Deutsche Staatspartei auf die nationale Seite zu bringen. Einmal in dieser tätig, wollte er aber, trotz häufiger Enttäuschung seiner genannten Absicht, wie er immer wieder ausdrückte, nicht fahnenflüchtig werden. Die mangelnde Neigung der Staatspartei, sich von der Sozialdemokratie zu trennen, hat aber bereits zu empfindlichem Bruch zwischen ihm und dieser Partei geführt. Es handelt sich also durchaus um eine jener Persönlichkeiten, die unser großer Reichskanzler Adolf Hitler als solche bezeichnet, die für die nationale Bewegung gewonnen werden möchten. ... Im übrigen ist er jetzt 20 Jahre für die Zentralstelle tätig, in jeder Richtung eingearbeitet, auch im übrigen ein anerkannter deutscher Historiker von erstaunlicher Vielseitigkeit. In der Genealogie ist er durchaus führend. Ich wüßte bei meinem doch immerhin recht reichhaltigen Überblick über wohl fast alle Genealogen von einiger Bedeutung keinen Mann, der gerade vom Standpunkt der jetzt erforderlichen äußersten Peinlichkeit, Genauigkeit, Wahrheitsliebe und Unbestechlichkeit, vor allem in der großzügigen Einstellung und in seinen persönlich fleißigen Leistungen an Stelle von Herrn Dr. Hohlfeld die Geschäfte der Zentralstelle leiten könnte. ... Dr. Hohlfeld ist ja nicht nur bei uns tätig, sondern Vorsitzender des außerordentlich umfangreichen volksbildnerischen Instituts ?Volkswohl?, das schon vor ihm stets von einwandfreien vaterländischen Personen im Interesse der Verbreiterung der Volksbildung durch zahllose Einzelkurse geleitet worden ist. Er ist historischer Mitredakteur bei Meyer? Konservations Lexicon, in zahlreichen historischen und Volksbildungs-Ehrenämtern usw. Er ist dabei nicht nur  anerkannter pragmatischer Historiker, sondern auch ein glänzender Organisator für Gesamt- und Einzelarbeit, Träger der neuen genealogischen Auslands-Deutschtum-Verzeichnung, Autor zahlreicher Sammelschriften und Einzelgeschichten genealogischer Art. In allen unseren zahlreichen Publikationsfragen ist er der klare Einrichter und Ordner der Ausführung. Dabei von großer historischer Zuverlässigkeit und wie ich schon bemerkte, äußerster geschichtlicher Unbestechlichkeit.?

    Gemeinsam mit anderen genealogischen Vereinen gelang es den Männern der Zentralstelle erfolgreich, Gercke das Wasser abzugraben. Gercke hatte sehr weitgesteckte und extreme Pläne, deren Verwirklichung selbst unter den neuen Machtverhältnissen eher utopisch oder politisch naiv  waren und mit denen er sich überall Gegner machte [WB2]   [22] . So propagierte Gercke schon am 21.6.1933 [23] auf der Hauptversammlung der Leipziger Zentralstelle den Gedanken einer universalen Zentralkartei, die auch die historischen Personaldaten und damit alle auf Daten der auf 350 000 Bände geschätzten deutschen Kirchenbücher umfassen sollte. Hohlfeld hingegen verlangte in einem programmatischen Vortrag auf der Tagung des Gesamtvereins Deutscher Geschichts- und Altertumsvereine am 5.9.1933 [24] in Königsberg ein anderes methodisches Vorgehen, und daß Ort für Ort nacheinander bearbeitet werden sollten, da man nur auf diese Weise stets auf gesicherten Ergebnissen aufbauen könne. Hohlfeld scheute sich auch nicht  - nach Abstimmung mit dem Vorstand des ?Herold? in Berlin - in einer Denkschrift an das Reichsministerium des Innern direkt gegen Gercke und dem mit ihm kooperierenden Koerner vorzugehen und ihre Pläne lächerlich zu machen. ?Die Reichsanstalt für Sippenforschung wird die gesammelten Photokopien aus dem ganzen Reich zur Benutzung ausstellen und eine weitere Photokopie in der beschriebenen Weise verkarten. Durch eine groß angelegte Ahnenkartei, die sämtliche in den Kirchenbüchern vorkommenden Ahnen umfasst, wird es möglich sein, eine große Reihe von Lücken in den Ahnentafeln zu überwinden,? hatte Gercke geschrieben [25] , und Hohlfeld [26] meint dazu: ?Sämtliche Kirchenbücher werden alphabetisch verzettelt. Durch Zerschneiden der Photokopien geht es allerdings nicht, die Kirchenbücher müssen verzettelt werden. ... Aber was ist denn gewonnen? Der Rohstoff der Quellen ist immer wieder nur in Rohstoff verwandelt - in eine Kartei von allerdings gigantischem Ausmaß. ... Über diesen gigantischen Plan sei offen und deutlich das Urteil gesprochen, das er verdient: es ist der dilettantischste Plan, den je ein Mann aufgestellt hat von einer Sache, von der er nichts versteht. Mit der ganzen Naivität eines Dilettanten sind hier Dinge hoffnungslos durcheinander geworfen, die so gar nicht zu vereinigen sind. Der Schriftdenkmalsschutz ... ist überhaupt nicht zu verbinden mit dem Problem der wissenschaftlichen Auswertung des Inhalts der Kirchenbücher. Diese kann überhaupt nur im Wege orts- und landesgeschichtlicher, hauptsächlich aber sozial- und sippengeschichtlicher Einzelforschung, niemals im Wege einer zentralen Gesamtbearbeitung der Kirchenbücher erfolgen. Das ist für jeden gebildeten Historiker eine Selbstverständlichkeit.?

   Indem, als Zugeständnis an den Zeitgeist, der bisherige Vorsitzende Breymann bereits am 21.6.1933 gegen den Landgerichtsdirektor Gerhard Lorenz (geb. 1889), einem Mitglied  der NSDAP, ausgetauscht wurde, sicherte sich die Zentralstelle politisch ab. [27] Lorenz wiederum unterlief mit Erfolg Gerckes Bestrebungen, alle historisch gewachsenen genealogischen Vereine aufzulösen und gleichzuschalten [28] . Besonders diese Absicht stieß auf den Widerstand nicht nur der Zentralstelle, sondern auch fast aller anderen Vereine. Inzwischen war im November 1933 der Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, Dr. Kurt Mayer [29] , nach Berlin übergesiedelt. Als langjähriges und sachkundiges Mitglied des überregionalen Vereins ?Herold? nahm er an dessen monatlichen  Versammlungen teil. Der ebenfalls von der Auflösung bedrohte Verein glaubte seine Selbständigkeit nur erhalten zu können, wenn Mayer als politisch einflußreiches Mitglied den Vorsitz bekäme, weshalb man ihn im Herbst 1934 wählte. ?Von dieser Zeit an hat Mayer mit Unterstützung der SS und mit Hilfe der Geheimen Staatspolizei intensiv auf den Sturz Gerckes hingearbeitet, womit er bereits im Februar 1935 Erfolg hatte.? [30] Daß die Männer der Zentralstelle an diesen Aktivitäten beteiligt gewesen waren, läßt sich zweifelsfrei aus einem späteren Bericht von Lorenz erschließen: ?Von einer ?Sabotage vordringlicher Aufgaben? kann ... keine Rede sein. Wir haben den besten Willen gehabt, die Reichsstelle für Sippenforschung ... ?entschieden zu unterstützen? in sachlicher Zusammenarbeit ... . Der Vorgänger Dr. Mayers war jener ... Dr. Achim Gercke. Den haben wir allerdings späterhin schärfstens bekämpft, aber Arm in Arm mit Dr. Mayer. Er war zum Beispiel mit dabei, als wir persönlich im Reichsministerium des Innern [31] Beschwerden über Dr. Gercke vorbrachten, er hat uns sogar dort den Empfang bei den verschiedenen zuständigen Sachbearbeitern vermittelt. Wenn Dr. Gercke dann nicht aus anderen Gründen hätte verschwinden müssen, wäre er zweifelsohne durch unser Vorgehen erledigt worden.? [32] Daß aus diesem gemeinsamen Vorgehen Verbindlichkeiten zwischen Mayer und Hohlfeld entstanden sind, die Hohlfeld dann helfen, seine eigene Stellung zu bewahren, braucht nicht zu wundern. - Als Wasmannsdorff, der schon von Gercke eingestellt worden war, Ende 1935 gegen Mayer intrigierte und sogar bei Himmler vorsprach, dürfte Hohlfeld bestens informiert gewesen sein, hielt sich aber abwartend zurück, denn Mayer schreibt dazu: ?In meinem Bericht vom 22. März 1936 in Sachen Wasmannsdorff-Elißmann S. 6, habe ich das Ergebnis der polizeilichen Vernehmung Dr. Hohlfelds vom 13.3.1936 aufgeführt. Es geht daraus hervor, daß Dr. Hohlfeld seit langem über die Umtriebe des Wasmannsdorff unterrichtet war, es aber nicht für notwendig befand, mir davon Kenntnis zu geben.? Wasmannsdorff - bis dahin Mayers Stellvertreter in der Reichsstelle für Sippenforschung - wurde fristlos entlassen; der SS-Mann Mayer, seit dem 1.4.1935 Reichsamtsleiter, blieb.

 

Hohlfeld selbst kämpft ab 1935 um die Behauptung seiner Stellung

 Es wird uns im folgenden nicht gelingen zu klären, wer hinter den Angriffen auf Hohlfelds Person eigentlich steckt. Eine einzelne einflußreiche Person als Strippenzieher, eine Gruppe von Personen?  Denkbar wäre Gercke selbst, aber noch eher der alte Erzfeind der Zentralstelle, Dr. Koerner, der 1933 zum Ministerialrat im Reichsinnenministerium avanciert war, dadurch ziemlichen Einfluß hatte, auf dem Dienstwege auch von der gegen ihn gerichteten Denkschrift [33] erfahren haben dürfte, und der als Vorsitzender des Vereins ?Deutscher Roland? auch gegen Mayer und dessen am 25.5.1935 gegründeten ?Volksbund der deutschen sippenkundlichen Vereine? als neuen Dachverein auftrat, mit dem Mayer schließlich Gerckes ?Reichsverein für Sippenforschung und Wappenkunde? (bei dem aber der Reichsinnenminister Wilhelm Frick, also Koerners Vorgesetzter, die persönliche Schirmherrschaft hatte) ausschaltete [34] ; denkbar wären aber auch alte Neider, die inzwischen nach Dresden in die Nähe der Gauleitung übergewechselt waren.

     Wenn wir dann feststellen müssen, daß Hohlfeld seine Stellung vor allem dadurch behaupten konnte, daß der SS-Mann Mayer und das NSDAP-Mitglied Lorenz sich für ihn aussprachen, so könnte man jede weitere Darstellung mit dem voreiligen Schluß abtun, daß damit das Urteil der Geschichte über Hohlfeld schon gefällt sei, denn eine negativere Empfehlung könne es ja kaum noch geben. Das ist nicht so einfach.

  An eine wissenschaftlich fundierte Biographie von Kurt Mayer, ab 1940 Leiter des Reichssippenamtes, hat sich bisher noch kein Historiker herangewagt (über den gescheiterten Gercke, der nach 1945 gern als ?Mann des Widerstandes? verstanden sein wollte, ist hingegen eine Dissertation in Arbeit [35] ). Wenn man viele Tage in einem Archiv über Akten sitzt, die von Mayer gezeichnet worden sind, macht man sich Gedanken, um welchen Menschen es sich eigentlich gehandelt hat. Es können hier nur einige grundsätzliche Feststellungen getroffen werden: Das Hauptmotiv der beruflichen Arbeit Mayers im Sippenamt war zweifellos ein politisches. Ihm ging es in allererster Linie darum, möglichst rasch alle Kirchenbücher des deutschen Sprachraumes zu verzetteln, um damit eine sichere Grundlage zu schaffen, alle Juden und Judenmischlinge aufzufinden. In seiner Personalakte [36] habe ich aus seiner Feder den Satz gelesen: ?Ich habe mich in meiner Stellung stets als Stellvertreter des Reichsführers SS gefühlt? (also Himmlers). Dieser Satz sollte meiner Meinung nach der Titel für Mayers Biographie sein. Für wissenschaftliche Fragestellungen hatte Mayer wenig Sinn, bekannt waren sie ihm aber (wenn er auch selbst, nach seiner Dissertation [37] , nie mehr eine größere Arbeit veröffentlicht hat und ganz im bürokratischen Betrieb aufgegangen ist). Noch weniger Verständnis hatte er für die heimatverbundenen Blut-und-Boden-Genealogen in Darrés Gefolge und deren Dorfsippenbücher, da sie ihm für die Judenaufspürung vor allem in den Großstädten zu uneffektiv waren. Zwischen den zwei Arbeitsrichtungen führte das zu einem der bitteren und jahrelangen Grabenkriege, an denen die Nazizeit so reich ist. (In einer getrennten Publikation darüber einmal mehr.) Sieht man den noch unausgewerteten persönlichen genealogischen Nachlaß von Mayer [38] ein, dann wird man nachdenklich und ahnt, daß auch dieser Mann aus mehr als einer offen zutage liegenden Persönlichkeitsschicht bestanden haben dürfte [39] .  Als sicher darf allerdings gelten, daß Mayer (vor allem im Vergleich zu Gercke und nachdem die für die Zentralstelle vielleicht noch bessere Option Wasmannsdorff sich als politisch unmöglich erwiesen hatte) aus der Sicht der genealogischen Vereine und damit auch aus Sicht Hohlfelds der bessere bzw. ein fähiger Fachmann (d.h. auch Genealoge) war, der sich in Staatsverwaltung, Partei und SS mit  Geschick und Realismus bewegen konnte und der ab 1936 - nach Überwindung der Anfangswirren in der von Gercke übernommenen Dienststelle - eine Bürokratie von bis zu 100 Mann effektiv leiten konnte.

      Inzwischen ist Hohlfeld selbst unter Druck geraten. Mayer trägt ihm die Stellung des Schriftführers des ?Volksbundes der deutschen sippenkundlichen Vereine? an, jedoch lehnt Hohlfeld am 5.12.1935 in einem handschriftlichen Schreiben [40] ab und unterzeichnet: ?Heil Hitler. Ihr ergebener Hohlfeld.?  - Begonnen hatte die Kampagne gegen Hohlfeld mit einem politischen Verriß seiner vierbändigen ?Deutschen Reichsgeschichte in Dokumenten? und zweier  historischen Monographien. Natürlich wird auch der Satz vom ?gedankenarmen Antisemitismus unter Führung des zugewanderten österreichischen Demagogen Adolf Hitler? [41] aus dem Zusammenhang gerissen und zitiert. Im Schlußsatz der von der ?Reichsstelle  zur Förderung des deutschen Schrifttums? [42] , einer Art Zensur- und Kontrollbehörde, bestellten Sammelrezension heißt es: ?Es kann nur Wunder nehmen, daß Herr Dr. Johannes Hohlfeld selbst im Dritten Reich noch immer Mitarbeiter für Politik und Geschichte beim Literarischen Zentralblatt für Deutschland sein kann.? [43] Hohlfeld wehrt sich mit einer 16seitigen Denkschrift [44] , die er drucken läßt und an Freunde und Bekannte verteilt, gegen diese anonym erschienene Rezension, als deren Verfasser er einen gewissen Dr. Bernhard Payr (geb. 1903) ermitteln kann. Da Hohlfeld den Mut hat, in dieser Denkschrift auch noch einmal den Satz mit dem ?Demagogen Hitler? [45] wortwörtlich abzudrucken, wird die Denkschrift, soweit nicht schon verteilt, auf Antrag der ?Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums? von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) beschlagnahmt, die auf diese Weise eingeschaltet wird. Am 19.9.1935 berichtet das Geheime Staatspolizeiamt Berlin (sic!) an den ?Herrn Reichs- und Preußischen Minister des Innern? [46] : ?Hohlfeld ... galt nach einem Bericht des Geheimen Staatspolizeiamtes Sachsen als besonders rühriger Demokrat. ... Entsprechend seiner allgemeinen politischen Einstellung hat H. in seinen Werken früher teilweise eine scharf ablehnende Haltung gegenüber dem Führer und dem Nationalsozialismus eingenommen. ... Für die jetzige Einstellung Hohlfelds ist nun bezeichnend, daß er ... diese Fehlurteile von damals heute umzudeuten und damit auch noch zu verteidigen sucht. Auf Seite 5 der anliegenden Broschüre legt er beispielsweise die ... beleidigende Äußerung über den ?zugewanderten österreichischen Demagogen Adolf Hitler? heute dahin aus, daß er damit nur von dem aus Österreich kommenden Volksführer (Demagogen) Adolf Hitler gesprochen habe. Schon dieser Versuch zeigt, daß von einer aufrichtigen Umstellung des Denkens bei Hohlfeld kaum eine Rede sein kann. Ich halte ihn daher für die Bekleidung der Stelle eines Geschäftsführers der Zentralstelle ... nicht weiter geeignet und bitte, entsprechende Schritte gegen ihn zu veranlassen. Wie mir die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums mitteilt, soll im übrigen Hohlfeld bei der dem Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern angegliederten Reichsstelle für Sippenforschung hinreichend bekannt sein, so daß ich vorschlagen darf, erforderlichenfalls eine Äußerung dieser Stelle über die Persönlichkeit Hohlfelds beizuziehen. ... In Vertretung gez. Dr. Best.? [47]

     Die Stellungnahme der Reichsstelle für Sippenforschung wird am 15.10.1935 angefordert. Deren Leiter ist aber nicht mehr Gercke - wie das zu Beginn der Kampagne gegen Hohlfeld der Fall gewesen sein dürfte - sondern inzwischen Mayer, der sofort daran geht, Munition und Gegenargumente zu sammeln, um Hohlfeld zu stützen. In Mayers Akten findet sich z.B. eine vernichtende Beurteilung [48] dieses Dr. Payr, der gegen Hohlfeld vorgeschickt worden war. Dann sammelt Mayer positive Rezensionen von Hohlfelds Arbeiten, darunter auch ein ?Urteil der Reichsamtsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes? [49] aus Bayreuth vom 13.2.1935, in dem über die vier Bände der ?Deutschen Reichsgeschichte in Dokumenten? zu lesen ist: ?Eine Dokumentensammlung von einzigartigem Ausmaß hat mit dem nun vorliegenden 3. und 4. Band ihren Abschluß gefunden. ... Die Sammlung füllt hier eine stark empfundene Lücke aus. Die in großer Zahl aufgenommenen Reden, Manifeste und Briefe des Führers bilden in sich zusammen ein Ganzes, aus dem Form und Gestalt des neuen Staates auch dem deutlich wird, der seiner Gedankenwelt fern stand. Wer sich also über die letzten 100 Jahre deutscher Geschichte, über die Entwicklung des deutschen Reichsgedankens ... von Bismarck zu Hitler durch die Quellen unterrichten lassen will, muß dieses Werk benützen?, das abschließend für den Geschichtsunterricht empfohlen wird. 

   Mayer, dem seine Abhängigkeit vom Reichsinnenministerium stets ein Grund der Unzufriedenheit war, spielte in der Angelegenheit Hohlfeld eindeutig auf Zeit. Am 8. Mai 1936 wird Mayer vom Innenministerium gemahnt [50] , daß sein Bericht auf den Erlaß vom 15.10.1935 noch immer nicht eingegangen ist. Das wiederholt sich dann bei jedem neuen Erlaß: Mayer antwortet stets erst nach Mahnung und der Bitte um Fristverlängerung, da er erst weitere Informationen einholen müsse. Am 12.6.1936 berichtet Mayer dann endlich an den Innenminister [51] : ?Dr. Johannes Hohlfeld ... ist einer unserer anerkanntesten wissenschaftlichen Genealogen. Es besteht kein Zweifel, daß das Ansehen, das die Zentralstelle ... im In- und Auslande genießt, mit in erster Linie auf die Arbeit des Dr. Hohlfeld zurückzuführen ist.? Dann zitiert Mayer seitenlang die Stellungnahme, die Breymann [52] schon am 20.4.1933 an Gercke geschickt hatte, und fügt darüber hinaus eine Sammlung positiver Rezensionen der Hohlfeldschen Bücher bei. Die Sammelrezension von Payr entwertet er mit dem Satz: ?Es ist mir inzwischen bekannt geworden, daß dieses Gutachten von einem jungen Historiker aus der Umgebung des Professor Frank [53] erstattet wurde.?

      Auch der Landgerichtspräsident Lorenz, dem Mayer eine Abschrift seines Schreibens zugeschickt hat, schaltet sich massiv ein [54] und schreibt nach Berlin: ?Im Frühjahr 1933 wurde ich im Zuge der sogenannten Gleichschaltung ... Vorsitzender der Zentralstelle. ... Von Dr. Gercke wurde auf Entfernung Dr. Hohlfelds ... gedrängt. Ich habe mich dem an sich nie widersetzt, habe nur die Übernahme des Vorsitzes an die Bedingung geknüpft, daß mir dann anstelle Dr. Hohlfelds ein einigermaßen gleichwertiger Ersatz zur Verfügung gestellt würde. ... Auf dieser Bedingung mußte ich als verantwortungsbewußter Mann bestehen, da ich nicht in der Lage ... bin, neben meinem Beruf verantwortlich die umfangreichen Geschäfte der Zentralstelle zu leiten. ... Ich darf darauf hinweisen, daß die Zentralstellle wohl das größte Unternehmen dieser Art ist und nicht nur im Reich, sondern auch im Ausland (auch außerhalb Europas) in wissenschaftlichen und genealogischen Kreisen höchstes Ansehen genießt. Ein solcher Ersatz konnte mir nicht  zur Verfügung gestellt werden - den gab es einfach nicht. ... Ob Hohlfeld flaggt und ob ein Führerbild in seiner Wohnung steht, weiß ich nicht. Danach beurteile ich auch nicht die politische Einstellung eines Volksgenossen. ... Ob ?weiteres Material? gegen Dr. Hohlfeld bei der Gestapo Dresden ... liegt, entzieht sich naturgemäß meiner Kenntnis. Ich bin selbst davon überzeugt, daß sich Dr. Hohlfeld bei allem, was er als Vorstand der Stiftung tut, nur von rein sachlichen Gesichtspunkten leiten läßt. Wenn ich nur im geringsten der Meinung wäre, daß er weltanschaulich gegen den heutigen Staat eingestellt sei, würde ich nicht mit ihm zusammenarbeiten, sondern meine Ämter niederlegen; die andere Lösung für diesen Fall, nämlich bleiben und an Dr. Hohlfelds Stelle jemand anderes hereinholen, käme für mich nicht in Betracht, weil es für ihn einen vollwertigen Ersatz nicht gibt. ... Als im Mai 1932 eine unrichtige Ahnentafel Hitlers in Wien erschien, die dann auch mit bewußten Fälschungen im Ausland verbreitet wurde, hat Dr. Hohlfeld noch im Sommer 1932 die Erforschung und Zusammenstellung der richtigen Ahnentafel veranlaßt. ... Wie ich eben aus einem Bericht im Völkischen Beobachter ... ersehe, hat auf der Tagung für auslandsdeutsche Sippenkunde in Stuttgart am 24. August 1936 Dr. Hohlfeld über das Auswanderungsmotiv als genealogisches Schicksal und Dr. Kurt Mayer ... über ausländische Sippenkunde gesprochen. Ich kann mir nicht recht vorstellen, daß Dr. Hohlfeld, wenn er in den gegen ihn entfesselten Angriffen richtig beurteilt wäre, dann noch an so hervorgehobener Stelle sprechen dürfte, und dazu noch zusammen mit dem Leiter der Reichsstelle für Sippenforschung. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, daß hier hinter den Kulissen Gegner wirken, die sich lediglich von irgendwelchen persönlichen oder unsachlichen Motiven leiten lassen. ... Im übrigen würde ich mich auch zu einer weiter gehenden Kontrolle der Tätigkeit Dr. Hohlfelds in der Stiftung auf Wunsch verpflichten, wenn das auch eine neue Arbeitsbelastung für mich bedeuten würde. Andererseits habe ich diese nunmehr ins 4. Jahr gehenden menschlichen Kämpfe bald satt, sodaß ich mich schon mehrfach mit dem Gedanken getragen habe, meine Ämter in Verein und Stiftung niederzulegen.? [55]  

     Am 17.9.1936 fordert das Reichsinnenministerium Mayer erneut auf, ?nunmehr zu der vom Geheimen Staatspolizeiamt und von der Gauleitung Sachsen der NSDAP ausgehenden Anregung, betr. Entfernung des Dr. Hohlfeld aus der Zentralstelle ..., alsbald abschließend Stellung zu nehmen.? [56] Mayer antwortet am 15.12.1936, nachdem er am 8.12.1936 mit dem Reichsstatthalter von Sachsen, Mutschmann, in Dresden ?in obiger Angelegenheit? persönlich Rücksprache genommen hatte: ?1) Ein geeigneter, wissenschaftlich geschulter und zugleich kaufmännisch befähigter Ersatz für Dr. Hohlfeld steht augenblicklich nicht zur Verfügung; 2) Einrichtungen, wie die Zentralstelle ... und die zwei noch bestehenden Zentralvereine werden im Laufe der nächsten Jahre ihre Bedeutung verlieren. Ihr Arbeitsgebiet wird sich mehr und mehr auf die sippenkundlichen Landesvereine verlagern und zum Teil auch in das Aufgabenbereich des künftigen Reichssippenamtes fallen. Insbesondere wird Letzteres den wissenschaftlichen Mittelpunkt für Deutschland darzustellen haben; 3) Der Herr Reichsstatthalter wird insbesondere nach der rechtlichen Seite die Möglichkeit prüfen lassen, für diese Übergangszeit die Zentralstelle ... seiner Dienstaufsicht zu unterstellen; 4) Es soll in Leipzig ein geeigneter Parteigenosse mit der Leitung der Zentralstelle beauftragt werden, um die Bewegungsmöglichkeit und das Geschäftsbereich des Dr. Hohlfeld einzuschränken. - Der Herr Reichsstatthalter wird mir über das Ergebnis der von ihm zu veranlassenden Nachprüfungen durch das Rassenpolitische Amt im Gau Sachsen Mitteilung geben lassen. Ich werde dann abschließend berichten.? Dieser abschließende Bericht folgt am 11.3.1937: Noch einmal wird wiederholt, daß für Hohlfeld ?kein geeigneter Nachfolger vorhanden ist. Darüber bestand auch Einvernehmen mit dem Herrn Reichsstatthalter von Sachsen und dem dortigen Rassenpolitischen Amt.? Hohlfeld soll von Lorenz kontrolliert werden. ?Ein unorganischer Eingriff in die Verhältnisse der Stiftung Zentralstelle könnte zu den schwersten Erschütterungen führen.? [57]

        Indem er sich auf diese Berichte ?des Leiters der Reichsstelle für Sippenforschung? stützt, schreibt der Reichsinnenminister am 1.4.1937 an das Geheime Staatspolizeiamt: ?Nach dem Ergebnis der Prüfung sehe ich davon ab, auf eine Enthebung Dr. Hohlfelds von seinem Amt als Vorstand der Zentralstelle ... hinzuwirken. Ich habe jedoch dem Vorsitzenden des Vereins zur Erhaltung der Zentralstelle, Landgerichtspäsidenten Dr. Lorenz in Leipzig, nahegelegt, die Tätigkeit Dr. Hohlfelds ... weitgehend zu beaufsichtigen.? [58] Damit ist die Angelegenheit aber immer noch nicht ausgestanden, denn das Reichsinnenministerium verlangt nun von Mayer Berichte, wie diese Beaufsichtigung konkret vor sich geht. Doch der verweist 1938 das Ministerium auf die ?zugesicherte Hauptstelle für Sippenforschung im Gau Sachsen?. [59] Während des Krieges gibt es dann wichtigere Dinge, und die tüchtigen Beamten haben in der Akte Hohlfeld keine weiteren Vorgänge mehr abgelegt. 

 

Die Fortsetzung der Sacharbeit der Zentralstelle und Schlußbetrachtung

 Nur wer selbst jahrzehntelang unter einem totalitären System gelebt hat, das auch von Fachleuten ein Mindestmaß an Anpassung (mit Heil Hitler oder Mit sozialistischem Gruß) und politischen Lippenbekenntnissen verlangt hat, kann die Pressionen beurteilen, denen sich Hohlfeld und die Zentralstelle ausgesetzt sahen. Daß in einem kommunistischen System ein wohlwollender Vorgesetzter einem parteilosen, fähigen Mitarbeiter in einer internen Beurteilung, die an übergeordnete Stellen ging, auch -  wider besseren Wissens - einen ?festen marxistischen Klassenstandpunkt? bescheinigt hat, wenn er persönlich an seiner weiteren Mitarbeit interessiert war, ist dem Verfasser in seinem Leben mehrfach begegnet; und ein solches Verfahren war, mit anderen Beurteilungsinhalten, auch von 1933-1945 gang und gäbe. Anders sind die politischen Äußerungen von Lorenz und Breymann über Hohlfeld kaum zu bewerten, anders auch nicht das Motiv von Mayer, Hohlfeld in seinem Amte zu halten.

     Für Hohlfeld selbst dürfte die teilweise äußere Anpassung ein Preis gewesen sein, der ihm die Sache wert war. Aus seiner Sicht dürften die Arbeitsergebnisse der Zentralstelle in den Jahren 1933 bis in die ersten Kriegsjahre seine Auffassung gerechtfertigt haben. Sein vielleicht freiwilliger Abgang (und wohin auch?) hätte nichts geändert oder verbessert. Es würde hier zu weit führen, eine erschöpfende Arbeitsbilanz der Jahre 1933-1945 zu ziehen. Wie sehr sich Hohlfeld und die Zentralstelle weiterhin von vorwiegend sachlichen Gesichtspunkten leiten ließen, zeigt sich darin, daß sie selbst 1935 und 1938 noch Schriften [60] des emigrierten Kessler herausbrachten. 1940 konnte Hohlfeld mit der Familienchronik Oldenburg [61] eine weitere beispielgebende Arbeit vollenden. In der Flut an sippenkundlichen Drucken des Dutzendjährigen Reiches verlor die Zentralstelle zwar relativ an Gewicht, Hohlfeld behielt aber durch die weitere Herausgabe der ?Familiengeschichtlichen Bibliographie? stets die Übersicht und blieb als Rezensent ein Meinungsführer, wenn er sich als Historiker mit der biologischen Seite der Genealogie, die vom Nationalsozialismus ja besonders betont wurde, auch schwer tat, da es ihm in diesem Punkte zwar nicht an Interesse und an Lesefrüchten, aber doch an tiefgründigen Fachkenntnissen in der Genetik mangelte, so daß in diesem Punkte seine Rezensionen eher an der Oberfläche bleiben und die politische Rassentheorie nicht in der Substanz da kritisiert wird, wo es aus fachlicher Sicht möglich oder notwendig gewesen wäre.

    Bleibende Verdienste hat sich Hohlfeld insbesondere bei der Erforschung der führenden Leipziger Familien erworben. ?Ich erwähnte bereits, daß die Leipziger französisch-reformierte Gemeinde bis in die Gegenwart hinein einen festgeschlossenen Kreis hochangesehener, wirtschaftlich fruchtbarer und kulturell hochstehender Kaufmannsfamilien bildet, die ihren Geist und ihre Gesittung in zahlreichen Verbindungen mit den Gelehrtenfamilien der Universität auf die ganze Stadt übertragen hat. ... Ich hoffe sehr, daß der Plan unseres Dr. Breymann verwirklicht wird, zunächst die Leipziger französisch-reformierte Gemeinde einer genealogischen Gesamtbearbeitung zu unterziehen, und ich richte an alle wissenschaftlich arbeitenden Genealogen die Einladung, gleiche und ähnliche Arbeiten in anderen Städten aufzunehmen?, hatte Hohlfeld bereits 1933 gefordert [62] . Dieses Familienbuch der Leipziger reformierten Bevölkerung kam dann 1939 [63] heraus, und es war durchaus als eine Art Kontrastprogramm zu den Dorfsippenbüchern zu verstehen. Das hinderte aber Hohlfeld nicht daran, als von diesen Büchern die ersten 30 gedruckt vorlagen, ihren außerordentlichen wissenschaftlichen Wert zu erkennen und sofort an der Universität mit Studenten eine Auswertung zu beginnen. Leider sind diese Ergebnisse 1943 im Bombenhagel auf Leipzig verbrannt, so daß davon nur noch ein Torso [64] erscheinen konnte.

     Wenn man zum 100. Jahrestag der Leipziger Zentralstelle einmal Bilanz ziehen wird, dann wird Hohlfeld zweifellos als der bedeutendste und erfolgreichste Leiter dieser Einrichtung benannt werden. Darüber hinaus wird man beim Vergleich der historischen Epochen die Feststellung machen, daß selbst unter totalitären Systemen ins Zwielicht geratene Institutionen dann noch einigermaßen gedeihen, solange die Fachleute ihren Einfluß geltend machen können und ihre Meinung eingeholt und beachtet wird. Wenn man einmal den DDR-Abschnitt der Zentralstelle in den Jahren 1967 bis 1990 untersuchen wird, so wird man feststellen, daß eine behutsame, aber stetige Aufwärtsentwicklung unter der Leitung von Dr. Hans-Joachim Rothe vor allem dadurch möglich war, daß er durch den sachkundigen Gottfried Keßler in der Staatlichen Archivverwaltung in Potsdam abgeschirmt und vorsichtig gefördert worden ist und daß mit Prof. Dr. Manfred Unger im Leipziger Staatsarchiv ein kompetenter Direktor wirkte, der an der fachlichen Autonomie der Genealogie nie Zweifel ließ. Totalitäre Systeme haben das Bestreben, Institutionen, die mit großen Personendatenmengen zu tun haben, durch das Innenministerium kontrollieren zu wollen.  Was für den Reichsstatthalter von Sachsen 1937 nur nichtverwirklichte Absicht war, ist von den Kommunisten dann 1956 umgesetzt worden, und die Zentralstelle wurde dem Innenministerium unterstellt. Bei der Wiederherstellung der Demokratie im Jahre 1990 wurde versäumt, diese Bindung wieder aufzuheben und die privatrechtliche Struktur einer selbständigen Zentralstelle mit staatlicher Förderung wiederherzustellen. Denn nur sie scheint auf längere Sicht die Gewähr zu bieten, daß eine Institution wie die Zentralstelle die notwendigen Kontakte mit der notwendigen Freiheit ausbauen kann, wie sie der ständige Umgang mit privatrechtlichen Vereinen und freiwillig arbeitenden Einzelpersonen erfordert. Hohlfeld allein wäre untergegangen, und die Zentralstelle hätte die Zeit 1933/35 nicht überlebt, wenn sie nicht von einer Gruppe handlungsfähiger Leipziger Bürger getragen worden wäre. Eine solche Gruppe gab es 1990 in Leipzig nicht mehr, und ein demokratisches Umfeld allein garantiert keinen Erfolg, wenn fachliche Kompetenz keinen Ansprechpartner hat und kein Gehör findet.

 

[1] Klaus Hohlfeld: Johannes Hohlfeld - Leben und Werk. In: Familie und Volk 3 (1954), S. 148-150.

[2] Johannes Hohlfeld: Stadtrechnungen als historische Quellen. Ein Beitrag zur Quellenkunde des ausgehenden Mittelalters. Dargelegt an dem Beispiele der Pegauer Stadtrechnungen des 14./15. Jahrhunderts. Leipzig 1912 (Bibliothek der Sächsischen Geschichte und Landeskunde, Bd. IV, 1. Heft). - Es spricht für die zeitlose Qualität der Arbeit, daß sie 1973 von der Dr. Martin Sändig oHG, Walluf bei Wiesbaden, nachgedruckt worden ist; ISBN 3-500-26170-1. Auf S. 93 seiner Dissertation schreibt Hohlfeld über die Juden, ?die sich zwar, wenn ihnen die Bürgerschaft wohl gesinnt war, dauernd niederlassen durften, aber schnell und rücksichtslos wieder aus der Stadt vertrieben wurden, wenn etwa ein neues Märchen über Brunnenvergiftung oder rituellen Kindermord im Lande verbreitet wurde.?

[3] ?Am 2. August 1914 ging ich als Leutnant der Reserve an die Westfront, um in der Vorhut der III. Armee die ruhm- und schlachtenreichen Wochen des August und September 1914 mitzumachen. ... Das Kriegserlebnis wurde gerade dadurch entscheidend vertieft, daß ich, am 15. September 1914 schwer verwundet, über drei Jahre ans Lazarett gefesselt blieb und mich bis zum heutigen Tage manche körperliche Behinderungen an jene Stunde erinnern, in der mir ein unglücklicher Querschläger in beiden Beinen Arterien und Nerven durchschlug.? Johannes Hohlfeld: Rückblick und Ausblick, Leipzig 1.1.1937, DB 1937 A 1693.

[4] Johannes Hohlfeld: Das Bibliographische Institut. Festschrift zu seiner Jahrhundertfeier. Leipzig 1926.

[5] Hohlfeld (wie Anm. 3):  ?Die Zentralstelle mußte gegenüber den mit der Verbreitung der Sippenforschung verbundenen Gefahren einer bedenklichen Verflachung ihre wachsenden Aufgaben in der Pflege einer wissenschaftlich betonten Genealogie erblicken. Eine wesentliche Hilfe war bei der Verfolgung der letzten Aufgabe die Verbindung mit Karl Lamprechts ?Institut für Kultur- und Universalgeschichte? an der Universität Leipzig, die durch Abhaltung von Übungen unter Heydenreich, Devrient, v. Klocke und mir seit mehr als einem Vierteljahrhundert sorgsam gepflegt worden ist. Zwei Jahrzehnte hindurch ist das Leipziger Institut die einzige Stätte an einer deutschen Universität gewesen, in der auch der Genealogie ein gebührender Platz eingeräumt worden ist?  (d.h. seit 1910).

[6] Hohlfeld (wie Anm. 3): ?Als ich im Dezember 1911, einige Tage vor meiner mündlichen Doktorprüfung, meinem verehrten Meister Karl Lamprecht von meiner Absicht sprach, mich der wissenschaftlichen Genealogie zu widmen, vermittelte der immer hilfsbereite große Historiker meine Bekanntschaft mit dem Vorsitzenden der ?Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte?, Rechtsanwalt Dr. Hans Breymann, der mich am 23. Dezember 1911, einen Tag nach bestandenem Examen, für den 1. Januar 1912 als Assistenten der Zentralstelle annahm. Dort wirkten damals Dr. Eduard Heydenreich als Generalsekretär und Dr. Emil Devrient als Archivar, zwei ungewöhnlich kenntnisreiche Fachmänner, die den Ruf der wissenschaftlichen Genealogie wesentlich mitbegründet haben. Die Fragen der Zusammenhänge der Genealogie mit der allgemeinen Volksgeschichte hatte mich schon in meiner Dissertation beschäftigt, und so kam es von selbst, daß von Anfang an mein besonderes Interesse der Gedanke fand, die damals noch ausschließlich der Einzelfamilie zugewandte Genealogie in den weiteren Rahmen einer das Volksganze und seine ... sozialen Teile und Gruppen ins Auge fassenden Volksgeschichte einzuspannen.?

[7] Hohlfeld (wie Anm. 3): ?Es gab damals noch keine Zersplitterung unter der Genealogenschaft Leipzigs, und die anregenden Abende waren gut besucht. Im Vorstande der Zentralstelle war es ehrenvoll und höchst lehrreich, in dem Kreise der alten Führer mitberaten zu dürfen. Dr. Wecken als Geschäftsführer der Zentralstelle entwickelte damals eine stark nach außen wirkende organisatorische Tätigkeit, Dr. v. Klocke als Leiter des ?Deutschen Familienarchivs? gab der wissenschaftlichen Arbeit der Forschungen einen starken Ruck nach vorwärts.?

[8] Wolfgang Ribbe und Eckart Henning: Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung. 11. Auflage. Neustadt an der Aisch 1995.

[9] Hans Breymann, Leipzig 20.4.1933, Brief an Dr. phil. Achim Gercke, Stockdorf Post Planegg, Oberbayern. In: Bundesarchiv (im folgenden: BArch), Außenstelle Berlin-Lichterfelde, Bestand R 39, Nr. 63, nicht paginierte Akte.

[10] Johannes Hohlfeld: Geschichte des Deutschen Reiches. 2. Auflage. Leipzig 1926, S. 750-751.

[11] Klaus Hornung schreibt in einem Nachruf zum Tod des Politikwissenschaftlers Theodor Eschenburg: Er kandidierte ebenfalls ?für die Deutsche Staatspartei, in der sich die Deutsche Volkspartei, die Deutsche Demokratische Partei und der Jungdeutsche Orden zu einem der letzten Versuche der liberalen Mitte zusammengeschlossen hatten, sich gegen die nationalsozialistische Welle zu behaupten.? Junge Freiheit, 16.7.1999, Nr. 29/1999, S. 5.

[12] (Johannes Hohlfeld:) Fünfundzwanzig Jahre Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte E.V. in Leipzig. 1904  - 16. Februar - 1929. Leipzig 1929. DB 1929 B 1298.

[13] Johannes Hohlfeld: Die Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte und die Deutsche Bücherei. In: Herold-Jahrbuch, N.F. 4 (1999), S. xxx-xxx. - Dieser letzte zusammenfassende Bericht über ein fruchtbares Wechelsverhältnis war 1949 geschrieben worden und leider 50 Jahre lang  unveröffentlicht geblieben. Er verdient aber große Aufmerksamkeit.

[14] Volkmar Weiss: Die Entwicklung der Leipziger Zentralstelle von 1949 bis 1967. Ein Beitrag zur Geschichte der Genealogie in der DDR. In: Genealogie 48 (1999), S. xxx-xxx.

[15] Gerhard Kessler: Genealogie und Wirtschaftsgeschichte. Leipzig 1932 (Flugschriften für Familiengeschichte 21). - Die Ideen dieser noch heute lesenswerten und sehr anregenden Schrift sind zum Teil erst Jahrzehnte später in Forschungen umgesetzt worden. Vgl. Volkmar Weiss: Bevölkerung und soziale Mobilität. Sachsen 1550-1880.  Berlin 1993.

[16] 1956 äußert sich Prof. Dr. Ernst Engelberg, Dresden, in einem Schreiben an das Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR, über seine nähere Bekanntschaft mit Kessler, die er in der türkischen Emigration gemacht hatte: ?Herr Kessler war vor 1933 Ordinarius für Sozialpolitik an der Leipziger Universität und gleichzeitig ehrenamtlich sehr eifrig an der Zentralstelle ..  in Leipzig tätig. ... Prof. Kessler ... hat von Dr. Joh. Hohlfeld ... in persönlicher und politischer Hinsicht stets positiv gesprochen. Herr Dr. Hohlfeld war offensichtlich in der Nazizeit bestrebt, diese Zentralstelle von den rassistischen Machenschaften der Nazis freizuhalten.? BArch, Außenstelle Dahlwitz-Hoppegarten, Bestand DO1 22.0. Nr. 837, nicht paginiert.

[17] Wolfgang Ribbe: Genealogie und Zeitgeschichte. Studien zur Institutionalisierung der nationalsozialistischen Arierpolitik. In: Herold-Jahrbuch, N.F. (1998), S. 73-108.

[18] Breymann (wie Anm. 9), Bl. 1 des Briefes.

[19] Ribbe (wie Anm. 17), S. 88-95.

[20] Breymann (wie Anm. 9).

[21] Diese auf Hohlfeld direkt bezogene Seite ist aus Breymanns Originalbrief (vgl. Anm. 4) herausgenommen worden und nicht überliefert. Offenbar diente die Seite als Vorlage für einen Bericht  von Dr. Kurt Mayer ?an den Herrn Reichs- und Preußischer Minister des Innern?  am 12.6.1936, BArch, R 39, Nr. 63, Bl. 2-4 des Schreibens. Aus diesem Bericht stammt unsere Zitierung hier.

[22] Ribbe (wie Anm. 17), S. 87-88.

[23] Achim Gercke: Die Aufgaben des Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern. Leipzig 1933 (Flugschriften für Familienforschung 23).

[24] Johannes Hohlfeld: Deutsche Volksgenealogie. In: Familiengeschichtliche Blätter 31 (1933), S. 242-255.

[25] Zitiert nach Bl. 12 von: Johannes Hohlfeld: Denkschrift über die Gründung des Reichsvereins für Sippenforschung und Wappenkunde (e.V.) (von den Vorständen des Vereins Herold-Berlin und der Zentralstelle=Leipzig dem Reichsministerium des Innern überreicht). Streng vertraulich zur Kenntnisnahme übersandt. Leipzig 1934. 14 Blatt. - Offensichtlich hat Hohlfeld nach 1945 eine Kopie dieser Denkschrift der Deutschen Bücherei (Signatur 1948 B 584) in Leipzig übergeben, denn sie befindet sich dort, wie auch manche andere  ungedruckte Schrift Hohlfelds.

[26] Ebd. Bl. 12-13.

[27] Spätestens 1936 ist dann auch Breymann Mitglied der NSDAP. Nach Mayer (wie Anm. 21), Bl. 2 des Schreibens vom 12.6.1936.

[28] Ribbe (wie Anm. 17), S. 89.

[29] Geboren am 27.3.1903 als Sohn eines Pfarrers, kollektiver Selbstmord seiner Familie am 3.6.1946, vgl. Ribbe (wie Anm. 17), S. 92. 

[30] Ribbe (wie Anm. 17), S. 93.

[31] Vgl. Hohlfeld (wie Anm. 25).

[32] Dr. jur. Gerhard Lorenz, Landgerichtspräsident, Leipzig 26.8.1936, Bericht (Einschreiben! Geheim!) an den Herrn Reichsminister der Justiz, Betr.: Dr. Johannes Hohlfeld. In: BArch, R 39, Nr. 63, Bl. 5 dieses Berichts.

[33] Hohlfeld (wie Anm. 25).

[34] Ribbe (wie Anm. 17), S. 93-94.

[35] Ribbe (wie Anm. 17), S. 74.

[36] BArch, R 1509, Nr. 411.

[37] Kurt Mayer: Genealogisch-heraldische Untersuchungen zur Geschichte des alten Königreichs Burgund. Speier 1930 (zugleich Phil. Diss., München).

[38]   Nachlaß Dr. Kurt Mayer, Reichssippenamt, seit 1967 in der Zentralstelle in Leipzig.

[39] Wenn man z.B. in dem Nachlaß ein handgeschriebenes Ortsfamilienbuch des Dorfes Authausen (südlich Nördlingen) aus den Zwanziger Jahren entdeckt, das noch nicht einmal im letzten Bestandsverzeichnis der Zentralstelle aufgenommen worden war. - Vgl.: Volkmar Weiss und Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie. 2. Auflage. Neustadt/Aisch 1998 (Genealogische Informationen 33).

[40] BArch, R 39, Nr. 63. 

[41] Hohlfeld (wie Anm. 10).

[42] Diese Reichsstelle war am 16.6.1933 in Leipzig gegründet, aber bereits am 1.8.1933 nach Berlin verlegt worden.

[43] Anonym, Verfasser aber als Bernhard Payr bekannt: Dr. Johannes Hohlfeld alias Johann von Reichenbrand. In: Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums 2 (1935), S. 79-82.

[44] Johannes Hohlfeld: In eigner Sache. Leipzig 1935. - DB 1935 A 6113.

[45] Hohlfeld (wie Anm. 10),vorletzter Satz des Zitates.

[46] BArch, R 39, Nr. 63.

[47] Werner Best (geb. 1903), SS-Obersturmbannführer, Oberregierungsrat und Hauptabteilungsleiter bei der Geheimen Staatspolizei.

[48] Das anonyme Blatt soll hier, da es zeitgeschichtlich so charakteristisch ist, ausführlich zitiert werden: ?Herr Payr tauchte zuerst in der Sortimentsbuchhandlung von Lorenz in Leipzig auf. Dieses Angestelltenverhältnis wurde gelöst, nachdem Herr Payr gegen das Verbot des Geschäftsinhabers ständig die Buchauslage mit übelster kulturbolschewistischer Literatur verziert hatte. Eine Zeit später wurde Payr Generalsekretär der Gesellschaft der Freunde der deutschen Bücherei. Sein Wirken in den Jahren bis 1933 ist hier in unerfreulicher Erinnerung geblieben. Lange Zeit bestand die Beschäftigung vornehmlich darin, aus seinen Notizbüchern Zoten vorzutragen. ... Im Sommer 1932 wurde Payr Nationalsozialist, doch blieb seine Haltung bis zum Januar 1933 eine vorsichtig berechnende. Noch am 3. Juni 1932 erklärte er vor Zeugen dem jüdischen Professor Steiner-Prag, Adolf Hitler sei nur der ?Trommler? der Partei - wenn diese ans Ruder komme, werde ein ganz anderer Mann die Führung ergreifen müssen. ... Nach der Machtübernahme 1933 bekannte sich Payr öffentlich zur NSDAP, was er vorher niemals getan hatte. Er stiftete die Sekretärin seines Chefs, der Direktor der Deutschen Bücherei, Dr. Uhlendahl, an, dessen Privatkorrespondenz zu durchstöbern, und verfaßte auf Grund des angeblich gefundenen Materials eine Denunziantenschrift, auf die hin Dr. Uhlendahl in Haft genommen wurde. Da sich die Anschuldigungen Payr?s als ganz haltlose Denunziationen herausstellten, mußte Payr seinen Posten verlassen. Er war in Leipzig vollkommen unmöglich geworden und ist das noch heute. Das schärfste Urteil über ihn fällte sein eigener Vater.? BArch, R 39, Nr. 63. - Da er nun einmal die notwendigen Voraussetzungen hat, macht auch ein Dr. Payr Karriere und wird Mitarbeiter des ?Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP? und tritt mit Artikeln zur Rechtfertigung der Zensur hervor, die im Orwellschen Newspeak ?Schrifttumspflege? heißt. 1940 ist er dann gar Reichshauptstellenleiter im Amt Schrifttumspflege. Vgl. Bernhard Payr: Das Amt Schrifttumspflege. Seine Entwicklungsgeschichte und seine Organisation. Berlin 1941 (Schriften zum Staatsaufbau, Neue Folge der Schriften der Hochschule für Politik, Teil II, 54).

[49] BArch, R 39, Nr. 63. - Daß Hohlfeld als Historiker keine Probleme damit hatte, im 4. Band (für 1931-1934) auch die ?entscheidungsvollsten Urkunden der nationalsozialistischen Bewegung? zu dokumentieren, versteht sich von selbst.

[50] BArch, R 39, Nr. 63.

[51] BArch, R 39, Nr. 63.

[52] Breymann (wie Anm. 9 und 18).

[53] Prof. Dr. Walter Frank (geb. 1905), der sich mit zahlreichen antisemitischen Schriften hervorgetan hat und ab 1936 Präsident des ?Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland? war. Zur Wissenschaftspolitik schrieb er:  ?So kam es, daß der Nationalsozialismus im Jahre 1933 auf dem wissenschaftlichen Gebiet nicht viel mehr in Besitz nahm als die allerobersten Posten der Verwaltung, ... daß aber darunter fast alle entscheidenden Positionen zunächst noch in der Gewalt der alten, vornationalistischen Kräfte blieben, ihnen gehörten noch weithin die Fakultäten der Universitäten, ihnen fast ausschließlich die Direktionen großer Archive und Forschungsinstitutionen, ihnen die wissenschaftlichen Zeitschriften, ihnen die guten alten Konnexionen mit Kollegen der Bürokratie.? In: Walter Frank: Deutsche Wissenschaft und Judenfrage. Hamburg 1937, S. 33.

[54] Lorenz (wie Anm. 32).

[55] Daß sich Lorenz mit Mayer abgestimmt hat und dessen gemeinsames Auftreten mit Hohlfeld am 24.8. abgewartet hat, ehe er am 26.8. seinen Brief (vgl. Anm. 32) geschrieben hat, darf man wohl annehmen, auch was den letztlich Hohlfeld deckenden Schachzug anbetrifft, ihn beaufsichtigen zu wollen.

[56] BArch, R 39, Nr. 63.

[57] BArch, R 39, Nr. 63.

[58] BArch, R 39, Nr. 63.

[59] BArch, R 39, Nr. 63. - 1940 ist Friedrich Wecken hauptamtlicher Gaustellenleiter für Sippenforschung im Rassenpolitischen Amt der Gauleitung Sachsen der NSDAP in Dresden. Wann er in diese Stellung gelangt ist und welche Rolle er bei den Auseinandersetzungen um Hohlfeld und die Zentralstelle gespielt hat und ob überhaupt eine, konnte bisher nicht geklärt werden. Eine ?Gallionsfigur? war Wecken sicherlich nicht.

  [60] Kessler, Gerhard: Die Familiennamen der Juden in Deutschland. Leipzig 1935 (Mitteilungen der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte 53). - Judentaufen und judenchristliche Familien in Ostpreußen. Familiengeschichtliche Blätter 36 (1938), S. 202-231, 262-272, 298-306. Als Verfasser ausdrücklich genannt: Dr. Gerhard Kessler, Professor der Soziologie an der Universität Istanbul.

[61] Johannes Hohlfeld: Das Geschlecht Oldenburg zur Oldenburg und die Münchener Verlegerfamilie Oldenbourg. Eine Familienchronik über 4 Jahrhunderte. München 1940.

[62] Hohlfeld (wie Anm. 24).

[63] Johannes Hohlfeld: Die reformierte Bevölkerung Leipzigs 1700-1875. Leipzig 1939 (Leipziger Geschlechter, Bd. 3).

[64] Johannes Hohlfeld: Die Dorfsippenbücher. Familiengeschichtliche Blätter 42 (1944), S. 65-90.

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