Volkmar Weiss: Die Intelligenz und ihre Feinde: Aufstieg und Niedergang der Industriegesellschaft. Graz 2012, 544 Seiten

2. Auflage, überarbeitet und erweitert: Volkmar Weiss: Das Tausendjährige Reich Artam: Die alternative Geschichte der Deutschen 1941-2099. Arnshaugk 2011, 383 Seiten


Genealogie 52. Jg. (2003) 513-530


Über Heiratskreis und Großstadtbindung des Besitz- und Bildungsbürgertums:

 Das Beispiel Frege in Leipzig 1744-1944

 

Von Johannes Hohlfeld† und Volkmar Weiss [1]

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1.      Aufgabe und Ziel der Untersuchung [2]

Bis weit ins 19. Jahrhundert brachten die großen Städte, im Unterschied zum Land, keine Überschußbevölkerung hervor, sondern konnten ihre Einwohnerzahl nur durch ständige Zuwanderung halten und dann sogar mehren. Diese Beobachtung brachte Oswald Spengler zu der Feststellung [3] : „Der letzte Mensch der Weltstädte will nicht mehr leben ... . Das, was den echten Bauern mit einer tiefen und unerklärlichen Angst befällt, der Gedanke an das Aussterben der Familie und des Namens, hat seinen Sinn verloren. ... Die große Wendung tritt ein, sobald es im alltäglichen Denken einer hochkultivierten Bevölkerung für das Vorhandensein von Kindern ‚Gründe’ gibt.  ... Statt der Kinder haben sie seelische Konflikte, die Ehe ist eine kunstgewerbliche Aufgabe. ... Der kinderreiche Vater ist in Großstädten eine Karikatur. ... Auf dieser Stufe beginnt in allen Zivilisationen ... das Stadium einer entsetzlichen Entvölkerung. Das kulturfähige Menschentum wird von der Spitze her abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land, das durch die über alles Maß anwachsende Landflucht seiner besten Bevölkerung eine Zeitlang das Leerwerden der Städte verzögert.“

Dieser rein negative Vorstellungskreis um den Begriff der „Verstädterung“, der nur die Gefahren und Nachteile städtischer Lebensform, insbesondere für den vom Land Zugewanderten, herausstellt, läßt die Tatsache völlig außer Betracht, daß es altansässige Stadtgeschlechter [4] gibt, die sich gegenüber jenen Gefahren und Nachteilen städtischen Lebens immunisiert [5] und vielfach eine Vitalität und Ausbreitung erreicht haben, die denen alter Bauerngeschlechter nicht nachsteht, ja sie übertrifft. Es ist das Ziel dieser Untersuchung, aus den altansässigen Familien Leipzigs [6] Beispiele derartiger „Großstadtfestigkeit“ aufzufinden und Wesen, Ursachen und Folgen dieser Art von Seßhaftigkeit herauszustellen.

 2.      Weg der Untersuchung

Es ist klar, daß für eine derartige Untersuchung nur Geschlechter in Frage kommen, deren genealogische Zusammenhänge in allen Richtungen der Verheiratung und Verschwägerung lückenlos überschaubar sind und zwar für einen Zeitraum, der groß genug ist, daß alle Auswirkungen der Verstädterung darin erfaßt werden können. Da vom Geburtsjahr eines Mannes an gerechnet ein Jahrhundert noch nicht einmal ausreicht, den Tod des letzten Enkels einzuschließen, sind mindestens zwei Jahrhunderte erforderlich, um die volle Entfaltung einer Nachkommenschaft deutlich zu machen. Die Untersuchung hatte sonach etwa mit Beginn des 18. Jahrhunderts einzusetzen.

An aufgearbeitetem genealogischem Material standen für Durchführung dieser Untersuchung die drei Bände „Leipziger Geschlechter“ bereit, die im Rahmen des Stamm- und Ahnentafelwerkes der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte herausgegeben [7] worden sind, insbesondere dessen 1939 erschienener 3. Band mit seiner genealogischen Erschließung der gesamten reformierten Bevölkerung Leipzigs von 1700–1876 [8] .  Alle Ansätze gerade zur Auswertung dieses letzten Materials aber scheiterten an seiner Unvollständigkeit, die durch ergänzende Nachforschungen zu beseitigen sich als unmöglich herausstellte.

Die in den beiden ersten Bänden der „Leipziger Geschlechter“ veröffentlichten Einzelgenealogien zumeist bedeutender Leipziger Familien (wie der Schlobach, Meyer, Hiersemann, Thorer usw.) wurden auf ihre Auswertbarkeit eingehend untersucht, fast immer aber scheiterte der Versuch an der Unzulänglichkeit entweder der zeitlichen Tiefe oder der genealogischen Breite des Materials.

Es blieb ausschließlich eine Nachfahrentafel [9] als allein geeignetes Untersuchungsmaterial übrig, die – nach ergänzender Forschung – dann allerdings derartig ergiebig und so  eindeutig in ihren Auswertungsergebnissen war, daß sie allein die ganze Untersuchung lohnend zu machen sich imstande erwies: nämlich die Nachfahrentafel des Bankherrn Christian Gottlob Frege (1715–1781). Die Tafeln konnten bis auf ganz geringfügige Lücken bis zur Gegenwart ergänzt werden [10] , weil einmal ein erheblicher Teil der Nachkommenschaft in Leipzig selbst verblieben ist und hier durch das Einwohnermeldeamt erfaßt werden konnte, ein anderer nicht unerheblicher Teil den in den Gothaischen Taschenbüchern leicht erfaßbaren Adelsgeschlechtern angehört.

Die Durcharbeitung des Materials erfolgte im Rahmen einer Übung des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte bei der Universität Leipzig im Wintersemester 1944/45. Die Ergebnisse werden hier vorgelegt und diskutiert.

 

3.      Ursprung des Geschlechts, Einwanderung in Leipzig

Stammvater der Leipziger Frege ist der Gründer des Bankhauses Frege & Co. (gegr. 1739) Christian Gottlob Frege (1715–1781) [11] , ein Pfarrerssohn aus Lampertswalde [12] bei Oschatz. Seine Mutter war eine Tochter des Magisters Christian Gerber, Pfarrer zu Lockwitz bei Dresden. Der Pfarrer Christian Frege (1682–1753) war der Sohn des Neuruppiner Tuchmachers Christian Frege (1655–1731), dessen Vorfahren vermutlich schon seit dem 15. Jahrhundert in Neuruppin als Tuchmacher und „Bürenweber“ ansässig waren, wenn auch eine dunkle Familienlegende von der Abstammung von einem schwedischen Wachtmeister berichten möchte.

Der junge Frege kam mit 13 Jahren in die kaufmännische Lehre nach Dresden und noch im selben Jahre nach Leipzig, wo er nach sechsjähriger Lehre weitere fünf Jahre als Handlungsgehilfe tätig war, bis er sich 1739 als selbständiger Kaufmann etablierte.

Mit der Ergreifung des kaufmännischen Berufes und der Einheirat in Leipziger Kaufherrenfamilien – Frege heiratete dreimal – stellte Christian Gottlob Frege nicht nur sein Geschlecht auf eine vollkommen veränderte soziale Grundlage, mit der Seßhaftmachung in Leipzig machte er es zugleich zu einem Stadtgeschlecht, das in den städtischen Kaufmannsbetätigungen künftig sein eigentliches Lebenselement erblickte, während es zuvor ein kleinstädtisches Handwerkergeschlecht gewesen war, dessen letzter Sproß als Dorfpfarrer trotz seiner Magisterwürde bäuerlichem Dasein näherstand als städtischem.

Als Frege sich 1739 etablierte, war Leipzig nach heutigen Begriffen eine Mittelstadt; wie es in den folgenden 200 Jahren bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges zur modernen Großstadt heranwuchs, so wandelte sich die Fregische Familie in der gleichen Zeit in und mit Leipzig von einem Bürgergeschlecht barocken Gepräges zu einer modernen Großstadtfamilie weltweiter Ausbreitung und weltbürgerlichen Horizonts, wenngleich sie in ihrem Kern bis 1945 stets heimatgebunden an Leipzig festhielt.

 

4.      Ausbreitung des Geschlechtes und der Nachkommenschaft

Der Stammvater der Leipziger Frege, Christian Gottlob, heiratete 1743 in erster Ehe und 1744 wurde ihm sein erster Sohn geboren, so daß bis 1944 ein Zeitraum von genau zwei Jahrhunderten für Ausbreitung des Geschlechts und der Nachkommenschaft zur Verfügung stand. In diesem Zeitraum erstreckt sich die Nachkommenschaft des Geschlechts Frege auf sechs, die der weiblichen Deszendenz auf acht Nachkommengenerationen – schon hier fällt die wesentlich höhere Generationendauer des Stammes Frege [13] vor der übrigen Nachkommenschaft auf, die sonach pro Jahrhundert eine Generation ausmacht.

Die zweite schon hier vorwegzunehmende Tatsache ist die mehrfache Verschwägerung der Nachkommen untereinander, durch die es bewirkt wird, daß von der fünften Generation ab eine ständig wachsende Anzahl von Nachkommen zwei- und dreimal wiederkehrt, wodurch sich eine erhebliche Differenz zwischen der Zahl der theoretischen Nachkommen und der der tatsächlichen Einzelpersonen ergibt – ganz parallel der bekannten Erscheinung des Ahnenverlustes in der Ahnentafel.

  

5. Gesamtnachkommenschaft

 5.  1. Gesamtzahl der Nachkommen

Christian Gottlob Frege hat von 1744–1944 insgesamt 1016 Nachkommen, wovon jedoch 191 mehrfach vorkommen, so daß sich die Zahl der leiblichen Nachkommen auf 831 verringert. Da der Stammvater selbst in drei Ehen 15 Nachkommen hatte, von denen zwei Söhne und sechs Töchter weitere Nachkommenschaft erzeugten, hatte die Gesamtnachkommenschaft einen sehr günstigen Start. Ihre Zahl steigt in der III. Generation auf das mehr als dreifache, in der IV. und V. auf das annähernd doppelte, vergrößert sich in der VI. Generation immer noch um die Hälfte, steigt dann in der VII. Generation nochmals um ein Geringfügiges, um dann in der im Jahre 1945 lebenden VIII. Generation von 275 auf 172 rechnerische Nachkommen abzusinken. Diese Generation war 1945 allerdings noch nicht abgeschlossen, doch stand schon damals fest, daß sie mit ihrer Gesamtzahl die der vorigen Generation nicht erreichen wird. Die Zahl der leiblichen Nachkommen fällt außerdem in der VIII. Generation von 213 auf 91 Personen bereits auf unter die Hälfte, da von den 172 rechnerischen Personen der VIII. Generation 81 mehrfach vorkommen.

 

5.2. Generationendauer

Die Lebenszeit einer Generation erstreckt sich von der Geburt ihres ältesten Angehörigen bis zum Tode ihres letzten Überlebenden und kann sich durch Spätheiraten einzelner Vorfahren und Langlebigkeit der jüngsten Angehörigen sehr rasch weit über ein Jahrhundert ausdehnen. Wenn sich der zeitliche Lebensraum bereits der Kindergeneration Christian Gottlob Freges auf mehr als ein Jahrhundert erstreckt, so hat das seinen Grund darin, daß diese Kinder, aus drei Ehen stammend, in einem langen Zeitraum von 22 Jahren geboren wurden und zum Teil ein hohes Lebensalter erreichten (gerade die jüngste Tochter wurde 80 Jahre alt). Da nun der mittlere Generationsabstand 28 Jahre und zwischen der V. und VI. Generation sogar 35 Jahre beträgt, erstreckt sich bereits die Enkelgeneration bis 1892, die Generation der Urenkel bis 1914 und Vertreter aller folgenden Generationen (V–IX) waren 1945 noch am Leben.

Es ist klar, was diese starke Generationserstreckung bei zugleich hohem Generationsabstand bedeutet: Die lebendige Tradition wird dadurch gefördert. Wenn noch im Jahre 1892 ein lebender Mensch von seinem 1715 geborenen Großvater mindestens aus der Erzählung seiner Eltern berichten kann an seine 1945 noch lebenden Enkel, so überbrückt hier in einer Familie eine lebendige Kette innersten Familienzusammenhangs fast 2 Jahrhunderte, die in anderen, kurzlebigeren Familien schon längst im Meere der Vergessenheit versunken sind. Besonders bedeutsam ist es auch hier wieder, daß sich diese Erscheinung in der Stammfamilie Frege selbst noch wesentlich verstärkt, indem vor allem hier der Generationsabstand sich noch mehr verlängert – darüber weiter unten mehr.

 

5.3. Mehrfachabstammungen (Inzucht)

Erstmalig in der V. Generation treten infolge Abstammung beider Elternteile von dem Stammvater Frege die gleichen Nachkommen mehrfach auf, und zwar acht doppelt und zwei dreifach, so daß sich hier die Zahl der leiblichen Nachkommen gegenüber der rechnerischen Zahl erstmals um 12 vermindert. Diese Zahl erhöht sicht in der folgenden Generation auf 18 + 9 = 36, in der VII. Generation auf 22 + 20 = 62 und in der VIII. auf 11 + 35 = 81. Obwohl daher von 91 leiblichen Nachkommen der VIII. Generation 46 = 50% mehrfach, davon allein 35 = 38% dreifach auftreten, sind irgendwelche nachteilige Folgen dieser Verwandtenheiraten nicht festzustellen. [14]

 

5.4. Zahl der verheirateten Nachkommen mit und ohne Kinder

Ohne die 1945 noch nicht abgeschlossenen Generationen VIII und IX sind von 732 Nachkommen: 103 vor dem Erreichen des heiratsfähigen Alters (von 16 bzw. 18 Jahren) verstorben, 202 (129 Söhne, 73 Töchter) ledig geblieben und 427 (195 Söhne, 232 Töchter) verheiratet, von denen 214 (146 Söhne, 168 Töchter) überhaupt Nachkommen hatten und 12 (5 + 7) vermutlich Nachkommen hatten.

Während bei den Fregenachkommen von den Söhnen 34%, von den Töchtern nur 21% ledig blieben, waren im Deutschen Reich (1930) von den verstorbenen Männern 34%, von den Frauen 30% ledig. Es ergibt sich daraus, daß die Heiratschancen der Fregetöchter wesentlich günstiger waren als im Bevölkerungsdurchschnitt. Der Grund dafür ist wohl wesentlich darin zu suchen, daß die meist gut mit Mitgift ausgestatteten Töchter dieser vermögenden, zum Teil reichen, Familien besonders begehrt waren.

Wenn von 428 Ehen der Fregenachkommen nur 316 nachweisbar und weitere 12 vermutlich, zusammen also 328 (= 76%) mit Kindern gesegnet waren, so fällt der hohe Anteil der kinderlosen Ehen auf. Genau die Hälfte (38) aller kinderlosen Ehen entfällt aber allein auf die VII. Generation, das ist die nach 1900 zur Entfaltung gelangende Generation, mit der offenkundig der Höhepunkt der Nachkommenschaft überschritten ist. Der Rückgang der heranwachsenden Generation würde noch erheblich größer sein, wenn der Gesundheitszustand nicht ein so günstiger und die Sterbeziffer nicht eine so niedrige wäre.

Das Besitz- und Bildungsbürgertum nimmt damit, ebenso wie die jüdische Bevölkerung [15] , demographische Entwicklungen in allen Phasen vorweg, die bei den anderen Volksschichten erst ein oder zwei Generationen später eintreten.

 

5.5. Verluste durch frühen Tod

Wenn bei den Fregenachkommen von 424 Söhnen vor Vollendung des 18. Lebensjahres 53 (13%) und von 391 Töchtern vor Vollendung des 16. Lebensjahres nur 37 (9%), d.h., von insgesamt 831 Nachkommen nur 106 (13%)  im jugendlichen Alter starben, so liegen diese Zahlen erheblich unter dem Bevölkerungsdurchschnitt der Vorkriegszeit, vom 18. Jahrhundert, in dem die Sterbefälle der Fregenachkommen zu einem erheblichen Teil noch liegen, gar nicht zu reden. Es kommt hinzu, daß die Sterbeziffer von Generation zu Generation fällt, so daß in der VI. Generation von 209 leiblichen Nachkommen 195 (93%) in das heiratsfähige Alter eintreten, und nur 13 Sterbefälle vor dem 16./18. Lebensjahr zu verzeichnen sind –  also ein außergewöhnlich geringer Anteil.

 

5.6. Lebensalter

Aus den  ersten sechs Generationen haben insgesamt 65 Personen ein Alter von mehr als 75 Jahren erreicht. Da von den 520 Nachkommen dieser sechs Generationen 1945 noch 170 (16 aus der V., 154 aus der VI. Generation) am Leben waren, teilen sich die bis dahin verstorbenen 350 Personen dieser VI. Generation wie folgt auf: im jugendlichen Alter verstorben: 91 (26%), vor dem 75. Lebensjahr verstorben 194 (55 %),  nach dem 75. Geburtstag verstorben 65 (19%), 1945 noch am Leben 170.

Da die noch am Leben befindlichen 170 Personen sämtlich bereits das 16./18. Lebensjahr überschritten hatten, bestand nach dem Verhältnis von 65 : 259, das für die Verstorbenen galt, 1945 für 41 von ihnen ebenfalls eine Lebensaussicht von über 75 Jahren, so daß sich für die Gesamtheit der ersten sechs Generationen für 106 von 525 eine Lebensdauer von über 75 Jahren ergeben würde, d.h. für 20%. Da jedoch bei den 194 Personen, deren erreichtes Lebensalter mit 16/18 – 75 Jahren angegeben ist, auch diejenigen eingerechnet worden sind, deren Todesjahr nicht ermittelt werden konnte, so dürfte sich die Verhältniszahl der über 75 Jahre alt gewordenen in Wirklichkeit noch um ein nicht Geringes (nach Meinung Hohlfelds vielleicht um 5%) auf insgesamt 25% erhöhen. Bei der Gesamtbevölkerung betrug sie damals 22,5%.

 

6. Stammtafel Frege

Der namentragenden Stammlinie kam bekanntlich im sozialen Gefüge der Gesamtnachkommenschaft eines Stammelternpaares eine besondere Bedeutung und Funktion zu, die sich auf die vaterrechtliche Struktur des Kulturlebens gründete. In der traditionsgebundenen Nachkommenschaft, d.h. in dem namenführenden Geschlecht selbst wirken sich aus der verdoppelten Verpflichtung des Namens, des ererbten Berufes und Besitzes alle jene Bindungen, welche die Familientradition ausmachen, verstärkt aus. Das mußte bei einem Geschlecht wie bei den Frege in besonderem Ausmaß der Fall sein, das über Generationen den gleichen Beruf in dem gleichen Hause, ja in den gleichen Räumen, ausübte. Erste Voraussetzung für diese sich ständig verstärkende Fortwirkung jener Tradition ist freilich, daß sich das Geschlecht biologisch behauptet; darüber entscheidet die Zahl der Knabengeburten vor allem schon in den ersten Generationen und die Zahl der sich darauf begründenden mit Kindern gesegneten Ehen.

Wenn von rechnerisch 1016 Nachkommen nur 101, also 10%, den Namen Frege tragen, so erschien das Hohlfeld als „kein günstiges Verhältnis“. Geht man jedoch von der rein zufällige Weitergabe des Familiennamens aus, so halbiert sich theoretisch in jeder Generation der prozentuale Anteil der Namensträger und man erhält im Falle Frege eine erwartete Zahl von nur 29 Namensträgern, d. h. 3%.

Die Freges im Hauptstamm haben durchgängig Spätehen geschlossen, so daß  die Generationen in Abständen von meist über 30, in der letzten Generation sogar von 38 Jahren aufeinander folgen (1715–1744–1773–1802–1832–1863–1901). In der direkten Linie der Leipziger Bankherren erhöhte sich damit der durchschnittliche Generationsabstand  auf 37 Jahre. Bedrohen die Spätehen ständig den Hauptstamm mit dem Aussterben, so sind sie doch zugleich in gewissem Sinne Ausdruck einer hohen Vitalität, die sich auch in dem erreichten Lebensalter ausspricht, das von Generation zu Generation steigt (mit Ausnahme des  frühzeitigen Todes des dritten Frege). Besonders bemerkenswert ist es, daß von den 655 Gesamtnachkommen, die über 75 Jahre alt geworden sind, 15 (23%) den Namen Frege tragen, obwohl die Namensträger nur 10% der Nachkommenschaft ausmachen – und zwar erreichten diese 15 Freges ein Durchschnittsalter von 80 Jahren. Außerdem aber haben sieben Fregesche Ehefrauen ein Alter von über 75, durchschnittlich von 82 Jahren erreicht. Da inzwischen von den Soziobiologen [16] Forschungen bekannt geworden sind, die gerade derartigen Zusammenhängen nachgehen, wie z.B.: Werden weitere Kinder geboren, wenn bereits ein Sohn geboren worden ist? Haben die im Haus lebenden Großeltern Einfluß auf Zahl und Geschlecht der das Erwachsenenalter erreichenden Enkel?, sind derartige statistische Ergebnisse nicht ohne Interesse für Vergleichszwecke.


7. Sozialer Heiratskreis [17]

 

Sozialer Heiratskreis der Nachkommen

des Leipziger Bankherrn Christian Gottlob Frege (1715-1781)

Generation

I

II

III

IV

V

VI

VII

Summe

%

Bankherren, Kaufleute, Fabrikanten

3

6

6

14

18

17

24

88

37

Juristen, Hofbeamte, Diplomaten

-

2

3

5

13

24

2

49

21

Ärzte, Zahnärzte, Apotheker

-

1

-

7

1

6

2

17

7

Prof., Bibliothekare, Lehrer, Pfarrer

-

1

-

2

4

10

3

20

9

Offiziere

-

-

1

1

2

14

16

34

14

Künstler

-

-

1

-

1

  2

-

4

2

Landwirte, Rittergutsbes., Oberförster

-

-

-

5

1

12

5

23

10

Summe

3

10

11

34

40

85

52

235

100

davon:

Adel

 

-

 

1

 

1

 

3

 

13

 

34

 

41

 

93

 

40

 

 

Der Lampertswalder Pfarrerssohn Christian Gottlob Frege trat 1730 mit 15 Jahren in Leipzig als Lehrling in eine Gewürzhandlung ein, wurde 1736 Gehilfe in einem größeren Geschäft und etablierte sich 1739 als Gewürzhändler mit einem erborgten Kapital von 1000 Thalern – weder Herkunft noch Vermögen prädestinierte ihn zur Laufbahn eines Großkaufmanns. Aber er war ungewöhnlich tüchtig, sparsam und weitblickend. Schon sehr bald warf er sich auf bankmäßige Geldgeschäfte, erwarb sich bereits innerhalb von zwei Jahren ein kleines Vermögen, gewann rasch ansehnlichen Kredit und heiratete 1743 die reiche Kaufmannstochter Maria Regina Bachmann († 1749). Noch zweimal heiratete er in angesehene Leipziger Kaufherrenfamilien ein (in dritter Ehe eine Witwe und Bürgermeisterstochter) und gewann so sicheren Boden [18] in den exklusiven Kreisen der Leipziger Kaufmannschaft.

Unter seinen zehn Schwiegerkindern waren zwei Töchter aus angesehenen französischen Hugenottenfamilien Leipzigs [19] (Dufour, Favreau), eine französische Kaufherrentochter (Burgeois) [20] und eine deutsche Kaufmannstochter (Bertram), unter den Schwiegersöhnen zwei weitere Kaufleute, ferner zwei Juristen, ein Arzt und ein Pfarrer – Kaufmannschaft und Akademikertum bilden auch weiterhin die beiden Grundsäulen des Fregeschen Konnubiums, daneben einige Vertreter westeuropäischer Familien und späterhin ländlicher Großgrundbesitz, zum Teil aus dem Landadel.

Die relative Mehrheit behauptet im Konnubium mit 37% die Kaufmannschaft. Innerhalb derselben spielt eine entscheidende Rolle der Bankherrenberuf, der sich vor allem in der Stammlinie der Freges selbst durch zwei Jahrhunderte ohne Unterbrechung ausgeübt wird, aber auch unter den Töchternachkommen und deren Angeheirateten immer wieder bis zur Gegenwart auftritt. Als zweitstärkste Gruppe erscheint der Beruf der Juristen und Verwaltungsbeamten mit 21%, während alle anderen akademischen Berufe zusammen weitere 16% ausmachen.

Der Offiziersstand ist mit 14% insgesamt vertreten, es ist aber für die soziale Umschichtung der letzten beiden Generationen kennzeichnend, daß von den 34 Offizieren allein 30 (14 + 16) den beiden letzten Generationen angehören. – Ebenso gehört der ländliche Grundbesitz [21] mit 14 Vertretern den beiden letzten Generationen an. Darin kommt deutlich ein Aufeinanderzustreben zum Ausdruck: wie einerseits der adlige Großgrundbesitz in den reichen Kaufmannstöchtern eine kapitalistische Stützung ihres Besitzes sucht, so findet anderseits das städtische Großkapital in der Zeit des Währungszusammenbruchs in dem währungssicheren Großgrundbesitz eine begehrte sichere Kapitalanlage.

Schon in der II. Generation erfolgt eine erste Verschwägerung mit dem Adel, der in der folgenden Generation eine zweite folgt. In der IV. Generation heiraten drei, in der V. bereits 13 Träger adliger Namen in die Nachkommenschaft ein. Dann steigt die Zahl in der VI. Generation auf 34, in der VII. auf 41 adlige Schwiegersöhne und –töchter, die überwiegend dem Offiziersstand und der Großgrundbesitzerklasse angehören.

Bei Heiratsverbindungen mit ursprünglich Fremden (bzw. Ausländern) stehen zeitlich an erster Stelle drei Ehen mit Partnern hugenottisch-französischer Herkunft in der II. Generation, denen eine weitere Ehe in der VI. Generation folgt. Zwölf Ehepartner sind US-Amerikaner, weil die Krumbhaarsche Nachkommenschaft zum Teil dauernd nach Amerika auswanderte und sich dort überwiegend mit Angloamerikanern verheiratet hat. In den letzten drei Generationen erfolgen dann auch sieben kinderlose Ehen mit Juden.

Der Schwerpunkt des Konnubiums ist in erster Linie bei denjenigen Familien zu suchen, mit denen mehrfache Verschwägerungen eintreten; darin spricht sich die bleibende Hinneigung der Nachkommenschaft in bestimmter Richtung aus. Es sind durchgängig wohlbekannte Leipziger Kaufherrengeschlechter, mit denen solche mehrfache Verschwägerungen eingegangen werden: so erscheinen unter den Schwiegerkindern die Kaufherrenfamilie Beckmann und die Bankherrenfamilie Becker je viermal, die französischen Hugenottenfamilien Jay und Dufour, die Kaufmannsfamilie Lücke und das adelige Geschlecht v. Kyaw je dreimal.

Gene und Tradition vervielfachen sich in ihrer Wirkung dort, wo die Nachkommen untereinander heiraten. In vier Fällen treten die gleichen Ehepaare dreifach als Stammeltern der gleichen Nachkommen auf; es sind die Elternpaare Mayer-Becker, v. Frege-Weltzien-Jay, v. Hoffmann-Becker und Becker-Mayer, von denen zusammen 2 Söhne und 13 Töchter, 9 Enkel und 12 Enkelinnen, 6 Urenkel und 9 Urenkelinnen abstammen, bei denen sonach ahnentafelmäßig ein starker Ahnenschwund unter Verdreifachung des Fregeschen Ahnenerbes festzustellen ist – In 9 weiteren Fällen heiraten Fregesche Nachkommen miteinander, bei deren Nachfahren eine Verdoppelung des Fregeschen Ahnenerbes eintritt (v. Frege-Weltzien-Jay, Frege-Mayer, Mayer-Krause, Mayer-Becker, Beckmann-Jay, v. Hoffmann-Becker, Frege-Becker, Albrecht-Pohl, Albrecht-Küstner: das letztere Ehepaar jedoch ohne Nachkommen).

„Die Orientierung der Heirats- und Familienpolitik an geschäftlichen Interessen kann bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts als einer der elementaren Eckpunkte einer Wirtschaftsorganisation gelten, die das Medium der verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Interaktion als zentrale Wegbereiter zur Festigung und Vergrößerung der wirtschaftlichen Basis von (Familien-)Unternehmen nutzte.  ... Planvolles Querheiraten kanalisierte ... verwandtschaftliche Bindungen oftmals in geschäftliche Zusammenarbeit. ... Vermittelt durch die wechselseitige Protektion der jeweiligen Nachkommen ... bildete sich ein ausgeprägtes familiäres Verbundnetz. ... Insbesondere in der Phase der Gründung bzw. Konsolidierung des eigenen Unternehmens führte die Notwendigkeit, Geld zu heiraten, zu einer deutlichen Beschränkung der Heiratskreise auf die eigene wirtschaftsbürgerliche Gruppe.  ... Während die weibliche Linie deutlich stärker dazu benutzt wurde, soziale Statusambitionen durch prestigereiche Verbindungen mit dem Adel zu realisieren“, schreibt Köhler in einer vergleichenden Studie über das Heiratsverhalten deutscher Privatbankiers. [22]

 

8. Soziale Gliederung

Fast die Hälfte (47%) der Nachkommen Christian Gottlob Freges gehören kaufmännischen Berufen an, davon wiederum fast ein Drittel (13%) allein dem vom Stammvater ererbten Bankgewerbe. Diese Familien bilden den Kern des sozialen Gefüges – nicht nur hat der Fregesche Mannesstamm selbst sechs Generationen hindurch lückenlos an diesem Beruf festgehalten, sondern in sechs Linien hat sich das immer wieder bei den Nachkommen durchgesetzt, so daß nicht nur 32 Nachkommen den traditionellen Beruf ergriffen haben, sondern weitere 13 Töchter in ihn einheirateten.

Die zweitgrößte Gruppe unter den Berufen der Nachkommenschaft bilden die akademischen Berufe, denen 28% der Nachkommen angehören; bei ihnen überwiegen die Juristen (33) und Mediziner (11), beachtlich groß ist die Zahl der Universitätsprofessoren (10), unter ihnen auch Richard Woldemar von Frege (1811-1890), Rittergutsbesitzer und Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig. (Sein Sohn Arnold Woldemar von Frege-Weltzien war seit 1878 Mitglied des Deutschen Reichstags und 1898-1901 dessen Vizepräsident).

Die Freges selbst finden sehr rasch den Übergang zum ländlichen Großgrundbesitz, dem aber auch - dank vor allem der Verschwägerung mit dem Landadel - zahlreiche Töchternachkommen angehören. Die 12 Offiziere unter den Nachkommen gehören sämtlich den Töchternachkommen an.

Vergleicht man die Berufe der Nachkommen mit denen der Schwiegersöhne, so verlagert sich bei den letzteren das Schwergewicht stärker nach den akademischen Berufen hin, die im Konnubium mit 86 (37%) fast die gleiche Zahl wie die kaufmännischen Berufe (88 = 37,5%) erreichen. Ebenso ist der Anteil der Offiziere im Konnubium (34 = 14%) wesentlich höher als unter der leiblichen Nachkommenschaft (12 = 5%). Unter den Töchternachkommen finden sich häufig Ehen mit Bürgermeistern.

Am bemerkenswertesten in der sozialen Aufgliederung der leiblichen Nachkommenschaft ist, daß nirgends ein soziales Abgleiten zu beobachten ist  – die gesamte Nachkommenschaft ebenso wie der  gesamte Heiratskreis gehören dem gehobenen Bürgertum, zum Teil den führenden Ständen (bis zum Fürstenstand und zu Reichsministern) an. Den Weg, den sozialer Aufstieg oder Übergang zu anderen Berufsgruppen und Klassen nahm, zeigt die  folgende Übersicht an:

 

Soziale Gliederung der leiblichen Nachkommenschaft

des Leipziger Bankherrn Christian Gottlob Frege (1715-1781)

Generation

I

II

III

IV

V

VI

VII

Summe

Bankherr, Bankbeamter

1

1

3

7

12

6

2

32

Kaufmann

-

1

6

6

17

19

15

64

Buchhändler

-

-

1

1

1

5

-

8

Fabrikbesitzer, -direktor

-

-

2

1

-

2

-

5

Privatmann

-

-

-

-

1

2

-

3

Landwirt

-

-

2

1

6

5

2

16

Rittergutsbesitzer

-

-

2

2

4

5

9

22

Forstmeister, Bergassessor

-

-

-

-

1

1

-

2

Univ.-Professor

-

-

-

-

4

5

1

10

Arzt, Zahnarzt

-

-

3

-

3

4

1

11

Jurist, Verw.-Beamter

-

-

1

5

12

5

10

33

Pfarrer

-

-

-

1

-

2

-

3

Philolog, Kunsthistoriker, Redakteur

-

-

-

1

1

5

2

9

Apotheker

-

-

-

-

1

-

-

1

Offizier, Off.-Anw.

-

-

-

1

1

3

7

12

Kapitän

-

-

-

-

1

-

-

1

Techniker, Ingenieur

-

-

-

-

1

1

4

6

Künstler

-

-

-

-

-

-

2

2

Summe

1

2

20

26

66

70

55

240

 

1996 ist von Reitmayer eine umfangreiche Monographie zur Sozialgeschichte der Bankiersfamilien veröffentlicht worden. Drei Viertel der 66 untersuchten Privatbankiers hatten einen Privatbankier zum Vater. Nur etwa ein Viertel verdankte seine Aufnahme unter die Teilhaber nicht unmittelbar dem Erbfall, einer Heirat oder der Zugehörigkeit zum weiteren Verwandtenkreis. Nur unter den Bankiers, die ihre Banken selbst managen, „ist in nennenswertem Umfang ein sozialer Aufstieg aus kleinbürgerlichen Gruppen zu beobachten: Ein gutes Viertel ihrer Väter waren kleine Kaufleute, Volksschullehrer, Beamte ohne akademische Bildung, subalterne Angestellte, Werkmeister oder kleine Gewerbetreibende. ...  Der Anteil derjenigen Bankiers, deren Vater einen akademischen Beruf ausübte, betrug nicht weniger als ein Viertel.“ [23]  

 

9.    Geographische Ausbreitung der Nachkommenschaft [24] .

Christian Gottlob Freges Kinder blieben in Leipzig und seiner Umgebung, bis auf einen Sohn, der Kaufmann in Marseille wurde und dessen Nachkommen teils in der Welschschweiz eine neue Heimat fanden, teils in Hamburg, von wo aus sie sich über Nordostdeutschland ausbreiteten und in einigen Zweigen nach England und Amerika auswanderten. In diesem Stamm wurde der geniale Sproß Gottlob Frege (siehe unter 10.) geboren.

Der zweite Fregesche Stamm behielt bis 1945 seinen Hauptsitz in Leipzig. Eine Nebenlinie gabelte in der IV. Generation nach Hamburg ab. Die weitere Ausbreitung dieser Nachkommenschaft erfolgte teils in östlicher (Dresden, Schlesien) und westlicher Richtung (Frankfurt a.M., Ludwigshafen) teils in nördlicher (Mark, Mecklenburg) und südlicher (München, Wien), in einigen Abzweigungen gelangte sie vorübergehend (Frankreich, Italien) und auch dauernd (Nordamerika) ins Ausland.

Die dritte Linie (Krumbhaar) ist teils bis zur Gegenwart in Leipzig verblieben, teils bereits seit der III. Generation in Nordamerika seßhaft und dort amerikanisiert. Nebenlinien haben sich in beschränktem Ausmaß über Mitteldeutschland ausgebreitet.

Die zahlenmäßig schwachen Linien Albrecht, Pohl und Kind sind im wesentlichen im mitteldeutschen Raum verblieben. - Auch die Linie Küstner hat bis 1945 ihr geographisches Kraftfeld in Mitteldeutschland behalten, wo der Stammsitz Trossin die besondere Heimat der Nachkommenschaft geblieben war. Nebenlinien (Wahnschaffe) führen über Oebisfelde bis nach Westpreussen und durch die Leyser in weite Ferne (Mexiko, Bangkok), wo sogar eine  Heirat mit einer burmanischen Fürstentochter stattfindet, deren Nachkommen in Lübeck leben.

Zusammenfassend ist hinsichtlich der geographischen Ausbreitung der Nachkommenschaft festzustellen, daß diese den Rückhalt an der mitteldeutschen Heimat, insbesondere an Leipzig, bis 1945 zäh festgehalten hat. Das traditionelle Bankgewerbe der Familie hat stärker in Richtung einer geographischen Konsolidierung gewirkt als in Richtung einer weltweiten Zerstreuung, an der es zwar nicht fehlt, die aber nicht das Kennzeichen der geographischen Ausbreitung bildet.

Bei einer Bearbeitung nach 1945 hätte sich an diesem Punkte ein völlig anderes Bild ergeben.  Die Nachkommen dürften das Gebiet der früheren DDR fast vollständig verlassen haben. Erst nach 1990 haben wenige wieder Kontakt mit der Stadt Leipzig aufgenommen. Das wäre aber ein Thema für sich. Inwieweit die nach 1945 vielfach zerstörten wirtschaftlichen Grundlagen der Frege-Nachkommen auch zu einem sozialen Abstieg geführt haben, wäre dabei eine spannende Frage an eine neue Generation von Genealogen.

 

10. Gottlob Frege, (1848 – 1925), Mathematiker und Philosoph, Begründer der modernen Logik [25]

Einen besonderen Reiz und eine besondere Bedeutung erhält die Nachkommenschaft Frege, daß ein Ururenkel des Leipziger Firmengründers als Universitätsprofessor in Jena (1879-1918) ein Wissenschaftler von Weltgeltung geworden ist. Die Deutsche Bücherei Leipzig führt zu Gottlob Frege, nicht weniger als 73 Buchtitel an (Stand Februar 2002), darunter auch zahlreiche fremdsprachige, die sich mit seinem wissenschaftlichen Werk befassen.  1945 war diese Bedeutung – die vor allem durch die Rezeption durch Bertrand Russel entstand -  für Hohlfeld noch nicht erkennbar, und da keiner der beiden Verfasser (Hohlfeld und Weiss) über die speziellen Fachkenntnisse verfügt, das Werk Gottlob Freges mit eigenen Worten zu würdigen, so stützen wir uns an dieser Stelle auf die Meinung von Kreiser [26] : „Frege war ein Genie. Er war genial, nicht erst am Ende seines Wirkens, sondern von Beginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an, als Veranlagung und Gegenstand aufeinander trafen. … Die erste, selbstverständliche Bedingung eines genialen Menschen ist seine Existenz und mit ihr seine besonderen genetischen Fähigkeiten. … Freges geniale Leistung ist eine doppelte: Der ausgeführte Versuch einer Zurückführung von Mathematik und Logik mit Hilfe einer neuen logischen Theorie. Sein Werk hat die Wissenschaftsentwicklung und das philosophische Denken des 20. Jahrhunderts wesentlich beeinflußt.“

Der Vater Gottlob Freges, Karl Alexander Frege (1809-1866) war in Hamburg als zweiter Sohn des Kaufmanns und Konsuls Christian Emanuel Frege (1779-1811) geboren. Er wurde durch Hauslehrer unterrichtet und hatte eine Neigung zur Architektur und genoß deshalb den Unterricht eines Baumeisters in Hamburg. 1833 gründete er in Wismar eine Privatschule, an der er Mathematik unterrichte. 1844 heiratete er Auguste Wilhelmine Sophia Bialloblotzky (1815-1898), eine Lehrerin dieser Schule und Pfarrerstochter, deren Vorfahren über die Ahnenreihe des Superintendenten Ludwig Wilhelm Ballhorn (1730-1777) in mütterlicher Linie bis auf Philipp Melanchthon zurückführen. Nach dem Tode ihres Mannes 1866 leitete sie die private Mädchenschule noch weitere zehn Jahre erfolgreich.

Eine Skizze von Hohlfeld führt unter den leiblichen Nachkommen des Leipziger Bankherrn weitere 41 Bankherren und drei Professoren der Mathematik an, neben dem Jenaer Professor Gottlob Frege in derselben Nachfahrengeneration auch Christian Gustav Adolph Mayer (1839-1908), Professor der Mathematik an der Universität Leipzig, und Sohn eines in die Fregenachkommenschaft einheiratenden Bankherrn, und Joachim Oskar Becker (1889-1964), Professor der Mathematik und Logik an der Universität Freiburg im Breisgau (später an der Bonner Universität). Bemerkenswert ist dabei, daß die Linien, die zu diesen drei Mathematikprofessoren führen, bei drei verschiedenen Kindern des Leipziger Bankherren (zwei Söhnen und einer Tochter) aus  den zwei ersten Ehen beginnen, wie überhaupt zwischen den Nachkommen aus den verschiedenen Ehen keine wesentlichen sozialen Unterschiede bestehen.

 

11. Diskussion

Wenn Weiss das Hohlfeldsche Manuskript schon früher bekannt gewesen wäre, dann hätte er diese Arbeit seit 30 Jahren regelmäßig in seinen wissenschaftlichen Arbeiten zitiert. Der Grund dafür ist der schon oben von Hohlfeld gezogene Schluß: „Am bemerkenswertesten in der sozialen Aufgliederung der leiblichen Nachkommenschaft ist, daß nirgends ein soziales Abgleiten zu beobachten ist.“ Was macht dieses Ergebnis so bemerkenswert?

Die Nachkommen des Bankiers Frege sind sicher nicht die einzige Nachkommensliste eines Bankiers, die weltweit bekannt und bearbeitet worden ist. Im Jahre 1862 waren von 642 Bankiers Preußen 550 Juden [27] , und es ist deshalb nicht verwunderlich [28] , daß es vor allem auch jüdische Bankiersfamilien sind, die Weltgeltung erlangt haben. Der Name Rothschild [29] ist ein Begriff, ebenso Oppenheimer und das Geschlecht Mendelssohn, das berühmte Philosophen, Bankiers und Musiker hervorgebracht hat. (Jede Literaturrecherche bringt zu jedem dieser drei Familiennamen sofort Dutzende von Büchern, so daß wir an dieser Stelle auf Fußnoten verzichten können.) Die Liste ließe sich rasch verlängern um weitere Namen [30] , die sich an Bedeutung ohne weiteres mit den Freges messen können. Aber darum geht es nicht, sondern um den Versuch einer Verallgemeinerung.

Im letzten Jahrhundert sind weltweit Millionen Intelligenztests durchgeführt worden und die Ergebnisse zum Teil auch nach Berufsgruppen aufgeschlüsselt worden. Dabei gibt es eine Spitzengruppe mit einem mittleren IQ von über 130 zu der alle höheren Bankangestellte, Mathematiker und Physiker gehören, ebenso aber auch die Spitzenkräfte in anderen technischen und naturwissenschaftlichen Berufen und Personen, die durch weit überdurchschnittliche organisatorische Leistungen (z.B. in der Wirtschaft oder bei Militär) ausgewiesen sind. Die zugrundeliegende Persönlichkeitsstruktur ist sicher ein sehr komplexes Phänomen, auch in genetischer Hinsicht, jedoch war Weiss auf der Grundlage von Hochbegabtenuntersuchungen zu dem Schluß gekommen [31] , daß in Bezug auf Intelligenz auch eine spezielle genetische Veranlagung eine sehr große Rolle spielen muß, da es ohne  diese Veranlagung nicht zur Ausprägung eines IQ von über 130 kommen kann. Die Statistiken lassen sogar die Hypothese bzw. den Schluß zu, daß, wenn beide Ehepartner einen IQ über 130 haben, dann alle ihre Kinder wieder in diesem IQ-Bereich liegen (seltene Ausnahmen, wie Langdon-Down-Syndrom usw. nicht berücksichtigt).  D.h., bei  Ehepartner mit einem IQ von über 130 verhalten sich die Nachkommen genetisch wie eine „reine Linie“ - wie der Fachausdruck der Genetiker lautet - und zeigen keine Regression auf den Mittelwert der Gesamtbevölkerung. Während Milieutheorien den sozialen Auf- und Abstieg als eine Mechanismus begreifen, in dem es nur soziale Ursachen und Zufälle wirken [32] , hält der Genetiker darüber hinaus auch die Wirkung von Genen für möglich. Im Fregeschen Fall wird der Milieutheoretiker darauf verweisen, daß es für die Nachkommen angesichts des schon durch den Gründer angehäuften Vermögens nicht schwer war, das einmal erreichte soziale Niveau zu halten. Das ist zweifellos richtig, doch wird der Genetiker auch darauf verweisen, daß die Ehepartner ein geistiges Niveau, nicht nur der formalen Bildung, sondern auch den Anlagen nach, mitbringen mußten, wenn zwei Jahrhunderte lang die Kontinuität bewahrt werden konnte. Beides scheint im Falle der Fregeschen Nachkommen bis 1945 der Fall gewesen zu sein.

Auch die soziale Oberschicht des 18. Jahrhunderts, d.h. das Besitz- und Bildungsbürgertum, war charakterisiert durch Reichtum, Bildung und Macht, war aber in gewisser Hinsicht auch bereits eine Intellektuelle Elite. Am interessanten in dieser Beziehung ist jedoch die soziale Gruppe der besitzlosen Intellektuellen (d.h. der Schicht der mittleren Beamten und Angestellten, der Lehrer und Schreiber, die Mitgau [33] als „Plattformberufe“ für einen möglichen und häufigen Aufstieg in akademische Berufe begreift), denn bei ihnen handelt es sich um eine Art Intellektuelle Elite im status nascendi. In Sachsen, wo bereits damals ein Drittel aller Einwohner in Städten lebte, wuchs diese Schicht von 3% der städtischen Bevölkerung um 1615 auf 12% um 1870 an, mit einem steilen Anstieg von 5% auf 10% bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Bei der Landbevölkerung nahm der Anteil dieser Geschulten (sowohl in leitenden als auch in untergeordneten Stellungen, dabei Gutsverwalter, Schulmeister, Förster, Pfarrer – wir denken dabei an den Lampertswalder Pfarrer Frege - und Kantoren einschließend) von 2% um 1595 auf 5% in 1870 zu. Von Anfang zeichnete sich diese Berufsgruppe durch eine einzigartige soziale Mobilität [34] aus. Die persönliche Entscheidung, die eigene Chance zu suchen und dank einer überdurchschnittlichen intellektuellen Begabung seinen eigenen Weg zu finden, spielte bei diesen Geschulten eine besondere Rolle. Während bei allen anderen sozialen Klassen und Schichten die Väter zu 70 - 90% der gleichen sozialen Schicht angehörten wie die Söhne, waren es beim Besitz- und Bildungsbürgertum der Städte nur 50%, bei der Zwischenschicht der besitzlosen Intellektuellen der Städte stets gar nur 20%. Das ist ein extrem niedriger Prozentsatz, der in lebhaftem Kontrast zu allen anderen Zahlen steht. Die Leute, die nur ihren klugen Kopf hatten und sonst nichts weiter, kamen stets, d.h. in jeder Generation erneut, zu 30% bis 50% direkt vom Lande, waren Söhne von Schulmeistern und Pfarrern, aber auch von Bauern und Landhandwerkern. Ihre Frau brachten sie nur selten vom Lande mit. Auf dem städtischen Heiratsmarkt hatten sie aber wenig zu bieten und viele heirateten – im Unterschied zu Frege -  deshalb oft Töchter mit geringer Mitgift aus dem städtischen Handwerk oder die Tochter eines besitzlosen Intellektuellen, der schon in der Stadt wohnte. Aber sie müssen Wert darauf gelegt haben, daß ihre Braut, wenn schon nicht reich, dann aber wenigstens nicht dumm war. Denn nur durch eine solche Heiratsstrategie läßt sich der oft folgende soziale Aufstieg erklären. Bereits in der folgenden Generation stiegen von den Söhnen der besitzlosen Intellektuellen bis zu einem Drittel ins Besitz- und Bildungsbürgertum auf, entweder durch eigenen Verdienst oder durch eine Heirat oder durch beides kombiniert. In Freges Fall spielte sich bekanntlich dieser soziale Aufstieg durch eigenes Geschick und drei reiche Heiraten in einer einzigen Generation ab.

 

Daß der Stamm Frege in dem Mathematiker Gottlob Frege einen seiner Kulminationspunkte findet, ist kein Zufall. Der Stamm Bernoulli [35] hat in vier Generationen acht Mathematiker von überragender Bedeutung hervorgebracht, die 103 Jahre lang ununterbrochen den Lehrstuhl für Mathematik der Universität Basel innehatten. Bemerkenswerterweise ist aber kein Bernoulli gleich Mathematiker gewesen, und neben der Mathematik waren die acht noch Professoren für Physik, Chemie, Jura, Astronomie, Logik, Architektur und Ingenieurwesen - ein hervorragendes Beispiel für die Begabungsrichtung, die von Weiss als „mathematisch-technisch-organisatorisch“ bezeichnet worden ist und für die eine sehr hohe Allgemeine Intelligenz, d.h. ein IQ über 130, neben einer entsprechenden Ausbildung die allererste Grundvoraussetzung ist. Ein weiterer Bernoulli, Professor Carl Christoph Bernoulli (ein Enkel des letzten großen Mathematikers Bernoulli), war ein Technologe und Nationalökonom von großem Format. Die Ehefrauen der ersten Bernoulli entstammten aus Basler Geschlechtern, aus denen ebenfalls namhafte Gelehrte hervorgegangen sind.

Die Nachkommen des Rechenmeisters Adam Ries (der von 1492 bis 1559 lebte), die der Adam-Ries-Bund im sächsischen Erzgebirge erfaßt und in einem Buch [36] zusammengestellt hat, üben heute alle erdenklichen Berufe aus und nur wenige glänzen noch durch eigene mathematische Begabung und hohe Intelligenz. Aber es gibt unter den Nachkommen auch Linien (z.B. die Verlegerfamilie Teubner, ursprünglich in Leipzig), in denen über zehn, ja zwölf Generationen – ebenso wie bei den Frege bis 1945 - niemals die Kontinuität der Hochbegabung verlorenging, d.h. in denen die Ehepartner immer wieder aus einem vergleichbaren sozialen Milieu stammten und ebenso wie bei den Freges sogar ein weiterer sozialer Aufstieg in die oberste Führungs- und Vermögensschicht stattfand.

Als genealogische Regel ergibt sich daraus, daß die nächsten Verwandten von hochleistungsfähigen Persönlichkeiten, wenn nicht selbst auch hochleistungsfähig [37] , so doch stets überdurchschnittlich sind. Diese Tatsache macht die genealogische Forschung, die bei geistigen [38] und wirtschaftlichen Leistungsträgern ansetzt, so reizvoll und so wertvoll [39] . Bedeutende Persönlichkeiten der deutschen Genealogie, die das in ihrer Tragweite begriffen haben, waren Wilfried Euler und Gero von Wilcke. Es ist kein Zufall, daß Euler, der sich bei der Erforschung der Zusammenhänge jüdischer Familien und ihren Verbindungen mit nicht-jüdischen Familien besonders engagiert hatte (auch in einem Zusammenhang, der uns Nachgeborene den Kopf schütteln läßt [40] ), der Verfasser der grundlegenden Arbeit über mitteleuropäische Bankherrenfamilien [41] ist. Bei der Bankiersfamilie Delbrück lesen wir dabei z.B. mit Überraschung, daß der Nobelpreisträger Max Delbrück ein Nachkomme von Justus von Liebig ist. Immer wieder ist es diese Verbindung von Fähigkeiten: mit Geld umzugehen, logisch zu denken, richtige Schlüsse zu, komplexe Zusammenhänge wirtschaftlich und organisatorisch zu meistern - die uns vermuten und schließen läßt, daß es nicht nur das Geld und der Zufall sind, die derartigen Geschlechtern, wie den Freges, ein erfolgreiches Überleben ermöglicht, sondern auch eine entsprechende genetische Konstitution.


[1] Bei der Erschließung der Akten der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte fand ich unter SächsStAL, alte Zentralstelle, Nr. 76, ein unveröffentlichtes maschinengeschriebenes Manuskript von  Hohlfeld mit dem Titel „Über die Großstadtfestigkeit altansässiger Geschlechter in Leipzig“. Das Manuskript stammt offensichtlich aus dem Jahre 1945 und ist vor dem Einmarsch der Amerikaner in Leipzig abgeschlossen worden. An eine Veröffentlichung war in den folgenden Jahren bis Hohlfelds Tod im Jahre 1950 nicht zu denken. So blieb die Arbeit liegen und geriet in völlige Vergessenheit. Da sich in ihr aber jahrzehntelange Erfahrungen eines geistig hellwachen Genealogen niederschlagen, hielt ich es für angebracht, den Text für die Veröffentlichung nicht nur zu bearbeiten, sondern auch zu aktualisieren und durch Fußnoten zu ergänzen. V.W.

[2] In: Mitgau, Hermann: Zur Entwicklung der genealogischen Soziologie. Ein Blick über die Zäune der Fachdisziplinen. Genealogisches Jahrbuch 5 (1965) 5-21, berichtet Mitgau: Aus seinem Beitrag „Verstädterung und Großstadtschicksal genealogisch gesehen“, in: Archiv für Bevölkerungswissenschaften 11 (1941) 339-364, „entwickelte sich für mich ein Forschungsauftrag der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung vom Nov. 1944: ‚Bestandsaufnahme altansässiger Großstadtfamilien’, der aber infolge des Kriegsverlaufes stecken blieb und nur in einem (nie gedruckten) Manuskript von J. Hohlfeld für Leipzig einen Niederschlag fand.“

[3] Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. München: Beck 1923; S. 679 ff.

[4] Sachse, Wieland: Familienunternehmen in Wirtschaft und Gesellschaft bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 36 (1991) 9-25.

[5] Dieser Begriff bezieht sich auf einen Titel von: Flügge, Ludwig: Die rassenbiologische Bedeutung des sozialen Aufsteigens und das Problem der immunisierten Familien. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1920.  Es wurde damals vor allem das „Absterben der Geschlechter“ diskutiert, d.h. das Aussterben von bestimmten Familiennamen nach einer bestimmten Zeit. Im Rückblick kann man sich eigentlich nur wundern, wie wenig dabei die einfachsten wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen eine Rolle gespielt haben.

[6]   Maentel, Thorsten. Stadtbürgerliche Elite im Spannungsfeld zwischen bürgerlicher Selbständigkeit und monarchisch-bürokratischer Herrschaft. Leipziger Profile 1750 bis 1850. In: Hartmann, Anja Victorine, Morawiec, Malgorzata und Peter Voss (Hrsg.): Eliten um 1800: Erfahrungshorizonte, Verhaltensweisen, Handlungsmöglichkeiten. Mainz: von Zabern 2000, S. 269-297 (= Historische Beiträge zur Elitenforschung 1). - Schäfer, Michael: Herren im eigenen Haus. Leipziger Unternehmerfamilien und Familienunternehmen zwischen Jahrhundertwende und 1920er Jahren. In: Ziegler, Dieter (Hrsg.): Großbürger und Unternehmer. Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2000, S. 144-166.

[7] Zu Hohlfelds Person, seiner wissenschaftlichen  Leistung und der Bibliographie der von ihm herausgegebenen Werke siehe: Weiss, Volkmar: Johannes Hohlfeld, von 1924 bis 1950 Geschäftsführer der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte in Leipzig, zum 50. Todestag. Genealogie 49. Jg. (2000) 65-83. (Nachdruck: Genealogie, Sonderheft (2000/2001) 1-19); und: Lönnecker, Harald: Johannes Hohlfeld (1888-1950) – Deutscher Sänger, Genealoge und Politiker. In: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 46 (2001) 185-226.

[8]   Mit diesem „Stadtfamilienbuch“ trat Hohlfeld – wie ja auch in den einleitenden Sätzen unseres Beitrags hier - der Blut-und-Boden-Ideologie entgegen, die eben in diesen Jahren ihren Ausdruck in den „Dorfsippenbüchern“ fand. Vgl.: Weiss, Volkmar und Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie. Leipzig: Degener 1998, S. 35.

[9] Hohlfeld, Johannes: Nachfahrentafel Christian Frege (1655-1731). In: Leipziger Geschlechter. Band 1. Leipzig 1933, S. 89-136 (= Stamm- und Ahnentafelwerk der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte 6).

[10] Leider ist weder das Hohlfeldsche Arbeitsmaterial für diese ergänzte Nachfahrentafel überliefert, noch lassen sich die „geringfügigen Lücken“ genau quantifizieren.

[11] Franke, Annelore: Frege, Christian Gottlob. In: Neue Deutsche Biographie. 5. Band. Berlin: Duncker und Humblot 1961, S. 390.

[12] Siehe: Herzog, Jürgen und Eckart Wagner: Familienbuch für Lampertswalde bei Oschatz 1645 – 1800. Leipzig: Deutsche Zentralstelle für Genealogie (= Schriften der Deutschen Zentralstelle für Genealogie in Leipzig 6).  – Die Ergebnisse unserer Untersuchung wären kaum anders ausgefallen, wenn man auch die Nachkommen der Lampertswalder Geschwister von Christian Gottlob Frege einbezogen hätte. Der Bruder Christian Gottlieb (geb. 1712), der älteste Sohn des Lampertswalder Pfarrers, starb 1748 als Dr. med. kinderlos in Leipzig; die Schwester Johanne Christiane heiratete Christoph Siegmund Martin, Pfarrer zu Gröba, und dieses Ehepaar steht an der Spitze einer Linie sozialen Aufstiegs; ebenso wie der Bruder Johann Gottfried (geb. 1723), Pfarrer in Zwochau (dessen Nachfahrin Dorothea Jacobson 1893 Hans von Seeckt heiratete, Generaloberst und Chef der Deutschen Heeresleitung); die Schwester Marie Sophie (geb. 1724), war verheiratet mit Sigismund Dippoldt, Dr. med., Kauf- und Handelsmann und Ratsherr in Döbeln; und der jüngste Bruder Gottlob Christian Traugott (geb. 1734), Amtmann in Wiesenburg.

[13] Auf der Grundlage repräsentativen Zahlenmaterials ergab sich: „In ausgesprochenem Kontrast zu allen anderen Klassen und Schichten steht jedoch das Besitz- und Bildungsbürgertum. Viele Männer erkaufen Besitz und Bildung durch eine extrem späte Heirat. Die ‚aufgeklärten’ Männer des 18. Jh. haben ihren sozialen Aufstieg in vielen Fällen mit langer Ehelosigkeit bezahlt. Bei der Heirat war ein Drittel der Männer des Besitz- und Bildungsbürgertums um 1780 älter als 31 Jahre, 10% älter als 38 Jahre! Im 18. Jh. in dem die anderen untersuchten Klassen und Schichten ein besonders niedriges Heiratsalter haben, hat das Besitz- und Bildungsbürgertum in krassem Gegensatz dazu das höchste. … Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß, je höher der soziale Status ist, desto größer der mittlere Altersabstand zwischen den Ehepartnern. Bei Besitz- und Bildungsbürgertum waren das um 1780 über 7 Jahre. … Der in ‚reifen’ Jahren heiratende Besitz- und Bildungsbürger hatte eine Ehefrau, die so jung war wie bei anderen Klassen und Schichten auch, demzufolge dürfte auch die eheliche Fruchtbarkeit nicht geringer gewesen sein und, wegen der niedrigen Kindersterblichkeit, die Zahl der wirklich groß gewordenen Kinder höher als bei den Ärmeren.“ Zitiert aus: Das Heiratsalter, S. 203-211, in:  Weiss, Volkmar: Bevölkerung und soziale Mobilität: Sachsen 1550-1880. Berlin: Akademie-Verlag 1983.

[14]   Daß Inzucht keine Bedeutung hat, wenn sich keine autosomal-rezessiven Defektmutationen, die schwere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, durch homozygotes Auftreten manifestieren, ist inzwischen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Siehe dazu auch: Medizinische Fragestellungen und Inzucht, S. 93-97, in; Weiss, Volkmar und Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie. Neustadt/Aisch: Degener 1998, und www.v-weiss.de/inbreeding.html

[15]   Schmelz, Usiel D.: Die demographische Entwicklung der Juden in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933. Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 8 (1982) 31-72.

[16] S. Fußnote 8, Weiss, V. und K. Münchow, S. 159-163 bzw. www.v-weiss.de/publ4-soziobiologen.html

[17]   Pedell, Irma: Die sozialen Heiratskreise und ihre Veränderungen seit dem 19. Jahrhundert. Diss., Kiel 1955.

[18] Unger, Manfred: Das Leipziger Bank- und Handelshaus Frege am Beginn seines Aufstiegs (1739-1754). Sächsische Heimatblätter 29 (1983) 163-166.

[19] Hohlfeld, Johannes: Geschichte der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Leipzig 1700-1950. Unveröffentlichte Maschinenschrift von 1950, die nur in der Evangelisch-reformierten Kirche zu Leipzig vorhanden ist.

[20] Richter, Birgit: Das Handelshaus Frege in Leipzig und seine Beziehungen zu Frankreich um 1800. Cahiers d’etudes germaniques 28 (1995) 109-114.

[21] Hohlfeld thematisiert nicht, inwieweit dieses Einheiraten in große ländliche Besitzungen die „Großstadtfestigkeit“ in Frage stellt. Im weiteren wäre es nämlich hochinteressant, die zahlenmäßige Größe Nachkommenschaft der stadtfesten Linien mit den bis 1945 aufs Land ausgewichenen zu vergleichen. Auch die Gene der römischen Patrizier dürften vermutlich heute vor allem in den Linien fortleben, die in den Krisenzeiten auf ihre Latifundien ausweichen konnten.

[22] Köhler, Ingo: Wirtschaftsbürger und Unternehmer – Zum Heiratsverhalten deutscher Privatbankiers im Übergang zum 20. Jahrhundert. In: Ziegler, Dieter (Hrsg.). Großbürger und Unternehmer. Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2000, S. 116-143 (= Bürgertum 17) .

[23] Reitmayer, Merten. Bankiers im Kaiserreich: Sozialprofil und Habitus der deutschen Hochfinanz. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 136); hier S. 123f.

[24]   Repräsentatives Zahlenmaterial für Seßhaftigkeit und räumliche Mobilität enthält die Monographie: Weiss, Volkmar: Bevölkerung und soziale Mobilität: Sachsen 1550-1880. Berlin: Akademie-Verlag auf den S. 164-178. Gegenüber den städtischen Handwerkern weist das Besitz- und Bildungsbürgertum selbstverständlich eine viel geringere Seßhaftigkeit aus und wandert, da es bevorzugt zwischen Städten hoher Zentralität bzw. Großstädten wechselt, die nun einmal weiter auseinander liegen als kleinere Städte, auch über größere Entfernungen. Die in Leipzig seßhaft gebliebenen Freges sind da eher die Ausnahme.

[25] Hermes, Hannes: Frege, Friedrich Ludwig Gottlob. In: Neue Deutsche Biographie. 5. Band. Berlin: Duncker und Humblot 1961, S. 390-392.

[26]   Kreiser, Lothar: Gottlob Frege: Leben – Werk - Zeit. Hamburg: Meiner 2001, S. 131.

[27]   Prinz, Arthur: Juden im deutschen Wirtschaftsleben. Soziale und wirtschaftliche Struktur im Wandel 1850-1914. Tübingen: Mohr 1984 (= Schriftenreihe Wissenschaftliche Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 43), S. 44.

[28] Vgl. auch: Weiss, Volkmar: Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik. Graz: Stocker 2000; Die Juden, S. 174-187 bzw. www.v-weiss.de/iq-falle-juden.html

[29]   Ferguson, Niall: Die Geschichte der Rothschilds. Propheten des Geldes. München: DVA 2002.

[30]   Z.B.: Stieglitz, Olga: Die Ephraim: ein Beitrag zu Geschichte und Genealogie der preußischen Münzpächter, Großunternehmer und Bankiers und ihre Verbindungen zu den  Itzig und anderen Familien. Neustadt/Aisch: Degener 2001 (= Deutschen Familienarchiv 132/132), hier auf S. 431-440 die Mendelssohn.

[31]   Weiss, Volkmar: Major genes of general intelligence. Personality and individual Differences 13 (1992) 1115-1134  bzw.  www.v-weiss.de/majgenes.html

[32] Hartmann, Michael und Johannes Kopp: Elitenselektion durch Bildung oder durch Herkunft? Promotion sozialer Herkunft und der Zugang zu Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 53 (2001) 436-466.

[33] Vgl. Fußnote 2.

[34]   Weiss, Volkmar: Bevölkerung und soziale Mobilität: Sachsen 1550-1880. Berlin: Akademie-Verlag 1983; repräsentative empirische Zahlen dazu auf S. 146-150. 

[35]   Bernoulli-Sutter, R.: Die Familie Bernoulli. Basel: Helbig und Lichtenhahn 1972.

[36] Gehler, Georg und Wolfgang Lorenz: Das neue Adam-Ries-Nachfahrenbuch. Annaberg-Buchholz: Adam-Ries-Bund 1997 (= Schriften des Adam-Ries-Bundes 8).

[37]   Siehe www.v-weiss.de/table.html

[38] Z.B.: Prieß, Georg. Die Häufung hoher Begabungen und hervorragender juristischer Leistungen in der Familie S. In: Rothenberger, Curt (Hrsg.): Rassenbiologie und Rechtspflege. Hamburg: R. Hermes 1936, S. 77-83. – Günther, Hans R.. G.: Begabung und Leistung in deutschen Soldatengeschlechtern. Berlin: Bernhard und Graefe 1940 (= Wehrpsychologische Arbeiten 9).

[39] Müller, R.: Aus den Ahnentafeln deutscher Mathematiker. Familie und Volk 4 (1955) 7-10, 41-46, 92.97, 141-145, 172-174 und 209-214.

[40] Weiss, Volkmar: Die Vorgeschichte des arischen Ahnenpasses. Genealogie 50 (2001) 417-436, 497-507 und 615-627. – Siehe www.v-weiss.de/publ7-pass.html

[41] Euler, Friedrich Wilhelm: Bankherren und Großbankleiter nach Herkunft und Heiratskreis. In: Hofmann, Hanns Hubert (Hrsg.): Bankherren und Bankiers. Limburg/Lahn: Starke 1979, S. 85-144. – Interessante Stammtafeln aus Bankkreisen findet man auch bei: Wilson, C. S. and T. Lupton: The social background and connections of top decision makers. The Manchester School 27 (1959) 30-46.


Lynn, Richard and Tatu Vanhanen: IQ and the Wealth of Nations.


Weiss, V: Bevölkerung hat nicht nur eine Quantität, sondern auch eine Qualität. Ein kritischer Beitrag zur politischen Wertung der PISA-Studie. Erschienen in: Wege aus der Krise. Veröffentlichungen der Gesellschaft für Freie Publizistik 18 (2002) 31-59

  • Die Bundeszentrale für politische Bildung bezieht sich auf "Die IQ-Falle": Die Bundeswehr testet den IQ aller Rekruten und bestätig den: Verlust von Humankapital in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit. Die PISA-Studie vernachlässigt die bestehenden IQ-Unterschiede zwischen den deutschen Bundesländern (pdf-Version, siehe S. 25ff., Ebenrett, Heinz J. et. al.)

  • Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik.